Ein sechsjähriges Kind wird vermisst gemeldet. Doch dies ist zunächst kein
Fall für die Polizei. Der Entführer ist ein Bosnier, der sich von dem kleinen
Mädchen mit "Vater" anreden lässt.
An dieser Stelle kommt ein gesellschaftliches Thema ins Spiel, welches von der
Autorin geschickt in eine spannende Handlung gekleidet wird. Krieg und Flucht
aus Ex-Jugoslawien, Aufnahme in unserer westlichen Gesellschaft, Umgang mit
ausländischen Mitbürgern. Haarklein werden die Verhältnisse eine
Flüchtlingsfamilie in der deutsch-schweizer Gegend um Konstanz und den Bodensee
herum geschildert.
Dass sich die Konstanter Kripo nicht um den Entführungsfall kümmert, hat
seinen Grund: Sie hat wegen eines Toten, der erstochen in einer Badewanne
gefunden wurde, genug zu tun. Das ohnehin schon große Team wird immer wieder
durch weitere Experten vergrößert. Noch während die Ermittlungen auf
Hochtouren laufen, gibt es einen zweiten Toten, der Ähnlichkeiten zu dem
Tötungsdelikt des ersten Toten aufweist. Dieses Mal wurde der Leiter des
Jugendamtes bestialisch erstochen und in einem Park abgelegt.
Geschickt sind die Ermittlungen um die Ermordeten mit der Entführung des
Mädchens in einer parallelen Handlung verflochten. Die bluttriefenden Details
bei der Leichenschau hätten auch ohne diese Konkretheit ihre Wirkung gezeigt,
wie auch viele weitere kriminaltechnische Details passend in den Text
eingeflossen sind und den Eindruck von Expertenwissen erwecken.
Als angenehm habe ich das Sprechen der handelnden Figuren empfunden, die
teilweise im Dialekt oder mit osteuropäischem Akzent ihre Sätze
hervorbrachten. Schade, dass dieser Stil nicht konsequent an jeder Stelle
umgesetzt wurde.
Während die Ermittlungen der Kripo durchweg interessant und spannend sind, ist
die Handlung um die Entführung ein wenig zähfließend. Es steht zwar immer die
Frage nach dem "Warum" im Raum, aber leider ändert sich dies über
alle betroffenen Kapitel nicht. Im Ablauf der Entführung gibt es kaum eine
überraschende Wendung, kein kleinerer Spannungsbogen, der den Leser bis zum
nächsten (Entführungs-) Kapitel gefangen hält. Außerdem wirkt die Sichtweise
des Kindes konstruiert, aus dessen Perspektive die Entführung geschildert wird.
Es ist offensichtlich die eines Erwachsenen, der glaubt, dass ein Kind so denkt.
Das hat nichts mit der realen Denkweise eines Kindes zu tun.
Fazit
Auf das Thema des Buches ist bereits hingewiesen worden, aber die besondere
Herangehensweise an die Problematik des Balkankrieges, an die Schicksale der
Flüchtlinge, an die Schilderung der Kriegsleiden bosnischer Soldaten ist ein
ausdrückliches Lob wert. Dadurch wird der Krimi einer, der auch zum Nachdenken
anregt.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 23. Juli 2011 2011-07-23 16:22:44