"Ich muss nach Berlin. Ich habe gar keine andere Wahl.", sagt Henry zu
Paul; beide fahren los, vier Tage nach Silvester; für die zwei, die sich nie
vorher begegneten, wird es eine an Worten reiche Nacht, die nach ca. 8 Stunden
überraschend ernst endet. 8 Stunden, in denen Henry wie berauscht, d. h. in
einem Zug (s)eine Geschichte erzählt. Henry "hatte zwei Freunde, Jens und
Christine"; um dieses Paar und sich ("nichts deutete darauf hin, was
wir für ein unheilvolles Gespann sein würden") dreht sich seine sich
zuspitzende, novellistische Erzählung. Christine ist die erste Frau, in die
Henry sich verliebt; natürlich ist auch Jens-, und natürlich hat Christine
auch andere Männer-, und natürlich möchte Henry seine erste Liebe zur
größten machen-, und so brechen aus dieser Dreierbezeihung nach und nach
gefährliche Abgründe herauf. Neben Liebe werden dabei Sex, Magersucht,
Fettsucht, Kosenamen, Durchfall und Schönheit bedeutend. Paul, der
Wahl-Berliner, mimt den Zuhörer; Henrys naiv hingebungsvolle Schilderung der
Liebes- und Freundschaftsereignisse aber rüttelt in ihm die Gedanken an Mandy
wach; Mandy ist zum einen Pauls erste Liebe ("ihr Bild, das ich immer immer
immer im Kopf habe"), zum zweiten Grund seiner den Leser verstörenden
Reserviertheit, drittens Anlass zu einem beunruhigendem Buchschluss.
Verblüffend: die schonungslose Beschreibung Berlins durch Paul, von falschem
Funkeln, Glitzern und Leuchten ist da die Rede, Berlin, die Stadt, "wo es
leuchtet", wo "Goldstaub" umherflirrt, an der nichts bunt außer
ihrer Werbung ist, und "sich jeder so verkauft, als hätte er
ununterbrochen den besten Sex seines Lebens"; ebenso erstaunlich, dass die
beiden Protagonisten nicht zu Freunden werden. Vielleicht unterscheiden sich die
beiden darin, dass der eine, Paul, seine große Liebe, Mandy, schon "hinter
sich hat", während Henry alle Dinge nur über den Hintergrund Liebe fass-
und begreifbar werden. Dieser vermeintliche Kontrast wird stellenweise zu
offensichtlich gemacht, besonders in den fast hymnischen Reden Henrys über
Einsamkeit, Liebe, Schönheit, Menschen, Zeit. Damit wollte der Autor wohl klar
stellen: einer, der erzählt, ist einer, der nicht träumt.
Fazit
Über den Titel des Buches bin ich mir erst am Ende der Lektüre klar geworden;
er ist, wie der Kauf dieses leider leicht konstruierten Romans, eine gute Wahl.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
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veröffentlicht am 30. August 2003 2003-08-30 11:29:41