Mit "Titan", einer gelungenen Mischung aus Polit-Thriller und
historischem Roman, legt der Bestsellerautor Robert Harris die Fortsetzung
seines Erfolges "Imperium" vor. Die als Trilogie angelegte Romanserie
schildert das Leben und die Karriere des römischen Politiker Ciceros. Der
deutsche Titel "Titan" lässt an einen Cicero denken, wie man ihn aus
dem Lateinunterricht kennt: den grossen Redner und Staatsmann. Doch Harris’
Cicero ist kein Titan, sondern ein Mensch mit Stärken und Schwächen.
Treffender ist da der englische Titel "Lustrum", der mit der
Mehrdeutigkeit des lateinischen Begriffs spielt. Denn "Lustrum"
umschreibt das Sühneopfer der Zensoren für die kommenden fünf Jahre, kann
aber auch "Morast", "Lagerplatz der wilden Tiere" oder
"Bordell" bedeuten - und jeder dieser Aspekte lässt sich
gleichermassen im Buch wiederfinden.
Der Roman schildert die Ereignisse der Jahre 63-58 v. Chr.: Cicero hat allen
Anstrengungen seiner Feinde zum Trotz die Wahl zum Konsul gewonnen und steht nun
an der Spitze des Staates. Doch schon die erste Szene lässt erahnen, dass seine
Amtszeit nicht einfach sein wird: Die Leiche eines jungen Sklaven wird aus dem
Tiber gezogen und alles deutet auf einen Ritualmord hin. Cicero glaubt zwar
nicht an Omen und Vorzeichen, aber trotzdem wirft dieser Vorfall seinen Schatten
auf die Zukunft, denn pikanterweise ist der Besitzer des Opfers Ciceros
Amtskollege als Konsul. Schwerwiegendere Probleme kommen hinzu: Catilina, sein
Rivale im Wahlkampf, kann seine Niederlage nicht vergessen. In seinem Umfeld
sammeln sich Aristokraten, die auf den Emporkömmling Cicero herabblicken,
korrupte Politiker sowie weitere dubiose Gestalten. Und im Hintergrund erscheint
immer wieder eine Figur, die letztlich Ciceros Karriere entscheidet: C. Julius
Caesar, der ein grösseres Spiel im Auge hat, als Cicero sich zunächst
vorstellen kann. Der frischgebackene Konsul muss sich verschiedenen Fragen
stellen: Wie weit wird Catilina, getrieben durch seine Rachsucht, gehen? Wie
gross ist Ciceros Spielraum als Politiker wirklich? Und: sind illegale Methoden
gerechtfertigt, wenn damit die Republik gerettet werden kann?
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht Tiros, Ciceros Haussklaven und
Sekretärs. Als ständiger Begleiter seines Herrn ist er bei allen Ereignissen
dabei, ohne selbst aktiv einzugreifen. Er schildert Cicero nicht nur als
glänzenden Redner und klugen Politiker, sondern auch als Menschen, der gegen
Unsicherheiten und Lampenfieber kämpft und aus Selbstüberschätzung
grobfahrlässige Fehler begeht. Generell wirkt die Figurenzeichnung liebevoller
und detaillierter als im ersten Teil der Trilogie. Besonderes Augenmerk liegt
dabei auf Ciceros Familie. So entwickelt sich etwa Terentia von einer
nörgelnden, auf Einfluss und Ansehen bedachten Ehefrau zu einer klugen
Beraterin. Auch wird der Konflikt zu Ciceros Bruder Quintus gezeigt, der mit
dessen Entscheidungen nicht immer einverstanden ist. Nur Tiro, der Erzähler,
bleibt flach und wenig nachvollziehbar. Die schwächsten Szenen im Roman sind
denn auch jene, in denen Tiro seine Rolle als Beobachter ablegt und
selbstständig handelt. Ansonsten gelingt es Harris erneut, eine vergangene Welt
lebendig werden zu lassen. Im gelungenen Wechselspiel zwischen Polit-Thriller
und historischem Roman kommen neben den Intrigen auch die Alltagsszenen nicht zu
kurz, die das Alte Rom plastisch hervortreten lassen. Bemerkenswert ist
besonders, wie es Harris gelingt, sich strikt an den historischen Fakten zu
orientieren und seinen Figuren dennoch Lebendigkeit und Charaktertiefe zu
verleihen.
Fazit
Selbst wer aus dem Lateinunterricht noch weiss, wie die Geschichte ausgeht, kann
das Buch kaum aus den Händen legen.
Vorgeschlagen von Sibylle Meister
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veröffentlicht am 22. Juni 2011 2011-06-22 13:31:30