Alexander Ikonnikow hat mit "Taiga Blues" 44 kurze Geschichten
vorgelegt, die vor Witz und Satire sprühen und den Alltag in Rußland mit allen
seinen Facetten - witzige, traurige, brutale und zärtliche Episoden wechseln
sich ab - deutlich macht. Er schreibt in der Tradition Saltikow-Schedrins,
Gogols und Bulgakows. Ich hatte das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben. So
wie
Gogol in seinen
"Toten Seelen" oder Turgenjew in seinen "Aufzeichnungen eines
Jägers" das Alltagsleben in Rußland im 19. und 20. Jahrhundert
schilderten, so wird die russische Wirklichkeit subtil mit scharfem
psychologischen Einfühlungsvermögen dargestellt. Etwa in der ersten
Geschichte, "Das Bein", in der die Melkerin Krotowa ihrem Mann im Suff
ein Bein abhackt und nun dieses "entsorgt" werden muss. Es wird im
Wald verscharrt. Doch als ein altes Mütterchen dieses beim Holzsammeln
entdeckt, bricht Panik über den grauenhaften Fund auf. Moskau schickt
Spezialeinheiten. Witzig auch die Geschichte des hohen Ministers, der ein
kleines Dorf besucht. Dieses hat nur einen Nachteil: nirgendwo findet sich eine
öffentliche Toilette - allerdings ein großes Museumsgebäude und ein nobles
Restaurant...
"Das Leben ist schön und traurig" - so lautete eine Anthologie
russischer Erzählungen aus dem Piper-Verlag aus den 1980-ger Jahren. Auch diese
Erzählungen sind lustig und traurig zugleich - die kurzen, höchstens 3 Seiten
langen "Short Stories" haben mich zutiefst nachdenklich gemacht.
"Es gibt wenig Autoren, die die russische Wirklichkeit mit einem so wachen
Blick beobachten wie Alexander Ikonnikow." Dieses Diktum des bekanntesten
in Deutschland lebenden russischen Autors Wladimir Kaminer (Russendisko) trifft
den Kern dieser satirischen Erzählungen voll und ganz.
Fazit
Unbedingte Empfehlung.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 29. August 2003 2003-08-29 13:11:13