Mary Linleys Tätigkeit während der Forschungsreise der Sailing Queen als
Assistentin eines Botanikers ist an die Biografie der französischen Botanikerin
Jeanne Baret (1740-1803) angelehnt, die 1768 in Männerkleidern als
Wissenschaftlerin im Südpazifik arbeitete.
Die ohne Mutter aufgewachsene Mary hatte ihrem Vater zu Hause in England stets
assistiert und dabei das Sammeln und Archivieren von Exponaten gelernt. Nach
seinem Tod während einer Forschungsreise wird Marys Tante Henriette Marys
Erziehungsberechtigte. Sie möchte ihre Nichte möglichst schnell unter die
Haube bringen. Selbstverständlich würden dann die wissenschaftlichen
Sammlungen des Vaters verkauft und seine Aufzeichnungen in den Besitz von Marys
Ehemann übergehen. Mary fühlt sich als Wissenschaftlerin, obwohl ihr als Frau
des 18. Jahrhunderts Beruf und Forschungstätigkeit nicht zugestanden werden.
Mary Linley wird von den Konventionen ihrer Zeit daran gehindert, als
Wissenschaftlerin zu arbeiten und nimmt sich, nicht frei von Zweifeln, das Recht
einen Beruf auszuüben. In der Rolle des Zeichners Marc Middleton heuert sie als
Assistentin des Botanikers Carl Belham für eine Forschungsreise in die Südsee
an. An Bord gibt es keine Extrawürste und man fragt sich, ob die strengen
Regeln auch für Mary gelten werden. Die Fahrt auf den Spuren ihres Vaters ist
Marys Art, sich mit dem Tod ihres Vaters auseinanderzusetzen.
Eine Frau an Bord eines Segelschiffes würde allein aufgrund ihrer geringeren
Körperkraft schnell entdeckt, könnte man annehmen. Doch auf der Sailing Queen
wird jede Hand gebraucht und Marys Erfahrungswissen über Krankheiten und ihre
Behandlung machen sie bald zu einem unentbehrlichen Mitglied der Mannschaft.
Mary hat ihr Wissen über Krankheiten durch Beobachtung und eigene
Aufzeichnungen erworben und wird auf dieser Reise an die Grenzen ihrer Kunst
gelangen.
Wer Mary schließlich als Frau erkennt, erfahren die Leser nach einem spannenden
Versteckspiel. Liv Winterberg erzählt aus mehreren Perspektiven; die
Schiffsjungen Nat und Seth, der halbblinde Segelmacher John, der Koch Henry,
Carl Belham und der Haitianer Owahiri vermitteln ein sehr lebendiges und
glaubwürdiges Bild der abenteuerlichen Reise. Äußerst interessant fand ich
den Konflikt mit dem Schiffsarzt an Bord der Sailing Queen, mit dessen Methoden
der Wundversorgung weder Mary noch die Botaniker einverstanden sind.
Die Handlung ist äußerst geschickt in historisch belegte Ereignisse
eingebunden, die Nennung historischer Personen wie Cook, Linné, Forster und der
Haitianer Omai, den Cook mit nach England brachte, verstärken die
Glaubwürdigkeit. Die Dialoge vermitteln glaubhaft die Umgangsformen jener Zeit.
Nautische Details und das naturwissenschaftliche Wissen des 18. Jahrhunderts hat
Liv Winterberg sorgfältig recherchiert. Ein Personenverzeichnis, ein Glossar
der Fachbegriffe und das Nachwort zum Vorbild Jeanne Baret runden das
Lesevergnügen ab.
Fazit
Meine Erwartungen an einen historischen Roman mit einer Heldin in Hosenrolle
waren gering; Liv Winterbergs Erstling hat mich trotz einiger Längen im letzen
Drittel positiv überrascht.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 17. Juni 2011 2011-06-17 12:30:33