Karl May befindet sich hier auf der Höhe seiner Reiseerzählungen. Im Gegensatz
zu "
Winnetou I"
ist "Winnetou II" eine in Romanform gebrachte Anthologie. Sie enthält
neben dem Einführungskapitel, welches die Ereignisse aus "Winnetou I"
abschließt, die Erzählung "Der Scout", welches ich in der
ursprünglichen Form die beste Reiseerzählung Mays überhaupt finde
(Begründung siehe unten) sowie die Erzählungen "Old Firehand" (in
der späteren bearbeiteten Fassung: "Im fernen Westen") sowie
"Der Pedlar".
Im "Scout" verdingt sich Old Shatterhand als Privatdetektiv in New
York. Er soll den Bankierssohn Ohlert finden, der von einem Verbrecher entführt
wurde, um an sein Vermögen zu kommen. An der Verfolgungsjagd, an der sich auch
der berühmte Westmann Old Death beteiligt, werden die Verhältnisse in Texas
und New Mexico um 1867 dargestellt. Der Machtkampf zwischen Juarez und
Maximilian (von Karl May bereits in seinem Trivialroman: "Das Waldröschen,
heute Bd. 51-55 der Gesammelten Werke beschrieben), wird dargestellt. Die
Protagonisten werden in die Kämpfe zwischen Komantschen und Apatschen
hineingezogen. Leider hat Karl May in der Bearbeitung, die der Erzählung
zugrunde liegt, aus dem ursprünglichen Greenhorn, dem namenlosen Ich-Erzähler,
Old Shatterhand gemacht. Er spielt die Rolle des Greenhorns in dieser Fassung
Old Death lediglich vor. Diese Bearbeitung der Urfassung (die erforderlich
wurde, weil Old Shatterhand Winnetou schon in den Ereignissen in "
Winnetou I" kennengelernt hatte
und die Erzählung: "Der Scout" ursprünglich früher entstanden war,
ist daher weniger gelungen, die Urfassung literarisch, zu recht feststellt, die
glaubwürdigere und besser gelungene.
Ähnlich verhält es sich mit den weiteren Ereignissen des Bandes, die zeitlich
später angesiedelt sind. Old Shatterhand muß einer Brandkatastrophe entkommen,
die durch gewissenlose Ölbohrungen verursacht wurde. Dabei lernt er den Jungen
Harry kennen, der sich im Laufe der Erzählung als Sohn Old Firehands entpuppt,
den Old Shatterhand im Laufe der Erzählung kennenlernt. Der Leser erfährt hier
einiges über die Lebensgeschichte Winnetous: dieser hatte sich einst in Ribanna
verliebt, eine Indianerin vom Stamm der Assiniboins, diese allerdings nicht
geheiratet, sondern seinem Freund Old Firehand überlassen. Ribanna wurde dann
von einem abgewiesenen weiteren Weißen, Parranoh, ermordet. Dieser taucht als
Häuptling der Poncas in der vorliegenden Erzählung wieder auf. Er will das
Fort Niobrarah überfallen (hier handelt es sich um eine eigenmächtige
Bearbeitung durch den Karl-May-Verlag und hat mit der ursprünglichen Erzählung
- dort geht es um die Verhinderung eines Eisenbahnüberfalles durch Indianer -
nichts mehr zu tun. Auch der Zweikampf zwischen den noch unbekannten
Westmännern Old Firehand und Old Shatterhand, die beide zum gleichen Zeitpunkt
Parranoh belauschen, ist vom Karl-May-Verlag erfunden). Dies kann zwar abgewehrt
werden, die Kämpfe verlaufen jedoch für Old Shatterhand, Winnetou und seine
Gefährten ungewöhnlich verlustreich, Old Firehand wird schwer verwundet. Dick
Stone und Will Parker, die in der Urfassung sterben, werden in der bearbeiteten
Fassung am Leben gelassen (weil sie in weiteren, zeitlich später angesiedelten
Reiseerzählungen eine Rolle spielen). Aufgrund der Ereignisse muß Firehand
sein Leben als Jäger vorerst aufgeben und seine in einer "Festung"
gelagerten Felle verkaufen. Als potentieller Käufer erscheint ein in der Nähe
tätiger Händler, mit dem Winnetou und Old Shatterhand Kontakt aufnehmen
sollen. Dieser Mann ist jedoch niemand anders als der Mörder von Winnetous
Vater, Santer. Er nimmt Winnetou und Shatterhand gefangen. Doch gelingt es den
beiden, sich aus seiner Gewalt zu befreien. Ob Winnetou Santer der gerechten
Strafe zuführen kann?
"Trotz aller Bemühungen ist es May nicht gelungen, dem zweiten
Winnetou-Band die gleiche erzählerische Geschlossenheit zu geben wie dem
ersten" - urteilt Karl-May-Biograph Helmut Schmiedt im
"Karl-May-Handbuch" (überarbeitete Ausgabe: 2001) zu recht. Vor allem
die Old-Firehand-Episode widersetze sich - so Schmiedt völlig richtig -
erfolgreich der angestrebten Integration, denn sie vermittle - den
Verhältnissen in Mays Frühwerk entsprechen, ein Wildwestbild, welches sich
immer noch in relativ hohem Maße durch Bruatlität und Grausamkeit auf allen
Seiten auszeichne, auch der tendenzeill positiv gezeichneten Personen, Winnetous
eingeschlosen. "Der Erzähler-Held gesteht die Brüche indirekt selbst ein,
indem er gelegentlich Verwunderung über das Verhalten seines Blutsbruders
andeutet..., die zwar zu den frühen Gestaltungen dieser Figur, nicht aber zum
Winnetou-Bild der [18]90-ger Jahre und also zum Winnetou I passen."
So ist es und dies gilt auch für die Erzählung im "Scout", da hier
ein - sicherlich realistisch gezeichnetes - Indianergemetzel in der -
landschaftlich wunderbar gezeichneten - Sonora dargestellt wird, welches
späteren Intentionen des Autors zur Versöhnung vollkommen widerspricht.