Essen mit Gefühl
Eine besondere Gabe besitzt Rosie, Hauptfigur und Ich-Erzählerin des neuen
Romans von Aimee Bender. Alles, was sie isst, all jenes, in dass sie hinein
beisst, offeriert ihr nicht nur den entsprechenden Geschmack der Lebensmittel,
sondern zugleich immer auch einen Anhauch eines Gefühls. Jenes Gefühl, dass
der Ersteller der jeweiligen Speise bei der Zubereitung empfunden hat. Eine
"Gefühlsesserin" somit ist diese Rosie.
Daher ist zunächst der etwas absonderliche Titel des Buches bereits gut
erklärbar. Das Stück Zitronenkuchen, von der Mutter gebacken, das schmeckte
nun einmal nach einem Hauch von Traurigkeit. Wie alle anderen Speisen je auch
einen "Gefühlsinhalt" in sich tragen. Rasch lernt Rosie zuzuordnen
und zu unterscheiden zwischen, Wut, Sorge, Traurigkeit, Ärger und allem
anderen, was das menschliche Gefühlsspektrum zu bieten hat.
In bilderreicher Sprache legt Aimee Bender diese Geschichte um die vielen
Gefühle vor. Angemessen bilderreich, denn die Welt der Emotionen lässt sich
meist ja nur indirekt über Assoziationen, Gleichnisse und Bilder einigermaßen
fassbar beschreiben. Emotionen sind es, die Menschen voneinander abstoßen und
zueinander führen, insofern ist die besondere Gabe der jungen Frau der
Gegenwart und des kleinen Mädchens in der Vergangenheit immer auch ein
Kaleidoskop der Beziehungen zueinander im Buch.
Und wie mit jeder besonderen Gabe, die Umwelt tut sich schwer mit dieser
Fähigkeit. So schwer, dass Rosie nach einer kurzen Weile darauf verzichtet,
offenzulegen, was sie spürt und nachschmeckt. Nur mit dem besten Freund ihres
Bruders intensiviert sie ihre Beziehung, ihn weiht sie beständig in ihr Ergehen
ein. Im Gesamten aber ist diese Gabe lange Zeit eine Belastung für die
heranwachsende Rosie. Denn am Geschmack des Essens immer zu wissen und damit
emotional mit zu erleben, wie es den ihren gerade zu Mute ist (vor allem, wenn
die Verhältnisse in der eigenen Familie nicht zum Besten gestellt sind),
belastet viel mehr als dass es hilft.
Eine ganz außergewöhnliche Idee ist es, die Aimee Bender in ihrem Roman
verarbeitet. Auch wenn das Motiv eines besonders begabten Kindes, dass aufgrund
dieser Begabung gerade auch innerlich in Schwierigkeiten gerät, nicht neu ist.
Die Idee dieser Art Mitteilung von Gefühlen ist durchaus originär. Da es zudem
der Autorin in der Umsetzung der Geschichte gelingt, diese Emotionen spürbar in
Worte zu fassen, gerät der Ausflug in das Leben der Rosie für den Leser
ebenfalls zu einer emotionalen Angelegenheit.
Besonders deutlich wird dies an der Peron von Rosies Bruder. Kühl, distanziert,
den Gefühlen gegenüber verschlossen. Aimee Bender lässt den Leser spüren,
welchen Verlust es bedeutet, die Welt der Emotionen beständig zu leugnen, sich
zu verschließen und aus Angst vor dem Verlust der Kontrolle sich dadurch auch
die wesentlichen Elemente des Lebens zu versagen. So findet sich in Joseph, dem
Bruder, der zweite Pol des Buches Zwischen Emotion und miterleben, Empathie und
Kontrolle und sich verschließen mit einem letztlich dramatischen, in der
Aussage eindeutigem Ausgang des Buches.
Fazit
Eine interessante Idee, sprachlich versiert umgesetzt und viel Emotion
transportierend verweis Aimee Bender in ihrem Roman auf die Kraft der Emotionen,
die Gefahren der Distanz und die Belastung durch zu viele Emotionen. In Teilen
allerdings auch langatmig und nicht recht vorankommend in der Entwicklung vieler
der Nebenfiguren verbleibt ein Wissen um die Bedeutung der Emotionen selbst für
die kleinen Dinge des Lebens. Alles in allem eine schöne Lektüre mit einer
außergewöhnlichen Grundidee.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 06. Juni 2011 2011-06-06 14:53:45