Reden ist Silber, Schweigen manchmal Gold
Zum Glück ist es kein stilles Buch, welches Susan Cain zu einem faszinierenden
Thema vorlegt, sondern durchaus beredt, wortgewandt und auf den Punkt treffend.
Immerhin nimmt sie sich, nach neuesten Zahlen, fast 50% der Weltbevölkerung in
ihrem "Temperament" zum Thema.
In einer Welt, in der Small Talk, Souveränität, die Werbetrommel vor allem
für sich selber zu rühren und allseits eine deutliche Duftspur eines
"Hier bin ich!" zu hinerlassen fast zu den erforderten
Grundausstattungen zu gehören scheint, um einigermaßen (nicht nur beruflich)
anerkannt zurecht zu kommen, bricht Susan Cain eine fundiert argumentierte und
anschaulich dargestellte Lanze für die Stillen. Die Introvertierten. Die, die
letztlich den Kitt der Welt mit ausmachen und die Dinge des Lebens lieber
zusammenhalten und ruhig vorwärtsbringen, als mit lautem Getöse hier und da
für erkleckliche Unordnung zu sorgen. Jene, die gerade vom "Getöse"
abgeschreckt werden und sich allem Neuen und, vor allem, Lauten nur vorsichtig
nähern.
Begeisternd, aber auch tief nachdenklich machend verweist Susan Cain im Buch
gerade auf diese Ebene des "vorwärts" gehen. Ausdauer, Geduld,
Konzentration, die Fähigkeit, sich nicht ablenken zu lassen, dass ist das
Rohmaterial, aus dem wegweisende Erfindungen und tief reichende Kunstwerke
entstanden sind. Und wer mag bestreiten, dass ein Chopin bei weitem einen Dieter
Bohlen überdauern wird. Und ebenso klar ist, dass es des "Ertragen von
Einsamkeit" bedarf, um wegweisende Erfindungen oder Kunstwerke zu
erschaffen.
Gründlichkeit und Tiefe, dass ist es, was nicht nur der Volksmund mit seinem
"stille Wasser sind tief" den Introvertierten zuspricht, sondern was
nun empirisch nachvollzogen werden kann anhand der vielfachen Geschichten und
klugen Deutungen der Autorin. Während in früheren Epochen gerade auch der
Besonnene und die Geduldige, die Nachdenkliche und der Weise hohe Geltung
hatten, hat sich dieses Bild in der modernen Welt fast umgekehrt. Wie Cain in
einem Interview, ihrer Art gemäß, treffend formuliert: "Heute haben
Introvertierte gegenüber Extravertierten dieselbe Stellung wie seinerzeit
Frauen gegenüber Männern - sie sind Bürger zweiter Klasse".
Eine besorgniserregende Feststellung, folgt man den Einlassungen Cains
dahingehend, dass die moderne Gesellschaft das Laute, sich darstellende, mithin
den "Schein" höher bewertet als die Substanz, das "Sein".
Eine Gefahr, die an Erich Fromms wegweisende Arbeiten erinnert und der es
gegenzusteuern gilt, sollen nicht gerade jene Potentiale ungenutzt am Rande der
Gesellschaft liegen bleiben, die tatsächlich Substantielles in sich tragen.
In Susan Cain haben die "Stillen" dieser Welt) eine wunderbare
Anwältin ihres Temperamentes und ihrer Möglichkeiten gefunden. Wer das Kapitel
über die Erziehung von introvertierten Kindern in einer Welt, die ihnen nicht
zuhören will und wohl gar nicht zuhören kann liest, wer hier den sachten
Entfaltungen Cains folgt, wie stillen Kinder in ihrem Potential der Weg zu einem
Persönlichkeitsgemäßen, selbstbewussten Leben eröffnet wird, ohne davon
berührt zu sein, der gehört sicherlich zu den "nur" Extravertierten
und kann das Buch getrost zur Seite legen, verstehen wird er es nicht.
"Bei allem, was jung und zart ist, ist der wichtigste teil der Aufgabe der,
wie man sie beginnt".
Was im Zitat schon Plato für die Ewigkeit festzurrte, gilt nicht nur für die
Erziehung der Kinder, sondern ist letztlich das Programm für das introvertierte
Leben und den Umgang mit sich und den anderen. Nicht lärmend und laut ist die
Welt in ihrer Essenz dahin gelangt, wo sie jetzt ist, sondern durch stille
Geduld, Forscherdrang und Nachdenklichkeit.
Fazit
Ähnlich, wie Sten Nadolny die "Langsamkeit" (und John Franklin war
ein Introvertierter allererster Güte) als Wert vor Augen stellte, hat nun Susan
Cain einen breiten Blick in verständlicher Sprache und mit fundiertem
Hintergrund auf die gesamte Welt der "Stillen" vorgelegt, der für
jeden Leser, der sich auf diese Welt einlässt, einen Gewinn bedeutet. Ein
Plädoyer für die Vorsicht, die sich langsam, dafür aber gründlich, allem
Neuen nähert und nicht mehr loslässt, wo sie wertvolles entdeckt. Und eine Mut
machende Entlastung zu lesen für jeden, der eher zu den Introvertierten
Menschen gehört.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 06. Juni 2011 2011-06-06 13:59:57