Erlebnis der Eleganz
Nicht nur die Geschichte, die Figuren und die dargestellten Ereignisse samt
Atmosphäre greifen zurück auf eine vergangene, der Zeit anheim gefallene
Lebenshaltung. Auch die Form, der Stil, den Fellowes zur Darstellung wählt, ist
bereits ein elegantes und geschliffenes Erlebnis für sich.
Mit vielerlei bildlichen Darstellungen, meist ebenso diskret und indirekt
andeutend genutzt wie seine Protagonisten es gewohnt sind (auch wenn "eine
Nase wie Pinocchio" zeigt, dass Fellowes auch ganz direkt zu beschreiben
versteht) und einem hohen Wortschatz inmitten durchgehend versierter
Formulierungen, gelingt es Fellowes, seinem Rückblick auf die Zeit des
Abgesangs der klar getrennten Klassengesellschaft Englands eine angemessene und
wunderbare Form zu geben.
Im Zug einer Rahmenhandlung in der Gegenwart, in jener der Ich-Erzähler des
Buches Damian, einen alten Freund-Feind nach 40 Jahren wieder trifft, mit dem es
im Rahmen eines, lange Zeit nur angedeuteten, Affronts zum Bruch kam und jenem
dann zusagt, sich auf die Suche nach einem eventuellen Sohn aus jener Zeit (mit
einer der Damen aus höherer Gesellschaft, die in Frage kämen) zu machen, setzt
Fellowes einen intensiven Rückblick auf jene Zeit in der "höheren
Gesellschaft" Englands in den Raum. Denn der Ich-Erzähler erinnert sich.
Ausführlich und ohne zu große Wehmut an die Ereignisse damals zurück. Vor
allem an jene jungen Frauen, die er selbst alle kannte und bei deren einer er
mit Damian durchaus in einer inneren Konkurrenz stand. Zurückhaltend und
distinguiert, versteht sich.
Eine Zeit, in der eine "festliche Gesellschaft an einem lauen Sommerabend
immer etwas von einem Versprechen hatte. Auch wenn es meistens nicht eingelöst
wird".
Das Ende der 60er Jahre ist es, das im Zentrum des Buches steht. Eine
Zeitenwende, in der einerseits zwar der Frack noch als angemessene Kleidung für
Abendanlässe gilt, andererseits aber die "neue Welt" sich im Rahmen
der Pop-Art und der Befreiung von alten Konventionen ankündigt. Eine "neue
Welt", die Fellowes in der Person des Damian bestens integriert vor Augen
führt. Einer, der smart, geschickt und strategisch vorzugehen versteht und
dennoch hohen Wert auf den Zugang zur besseren Gesellschaft sucht.
Eine Gesellschaft, die sich zur "Saison" rüstet, zur Vorstellung der
Debütantinnen. Seinesgleichen vorgestellt werden, untereinander Kontakte
knüpfen, die feinen Unterschiede in den eigenen Kreisen erkennen lernen, das
ist, was im Raume steht. Und das ist, was jener Damian gründlich für seine
eigenen Zwecke ausnutzt. Einer, der eben nicht mehr innerlich an Konventionen
gebunden ist, sich dennoch sehr wohl zu benehmen weiß und die Herzen der
jungen Frauen im Sturm erobert. Daher gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, wer
jene mögliche Mutter eines Sohnes ist, die ihm vor Zeiten einen bitteren Brief
geschrieben hat.
In die Welt herrschaftlicher Häuser, versnobten Adels und skurriler Eltern
entführt Fellowes treffsicher anhand von Teegesellschaften, Cocktailpartys,
festlichen Diners und Bällen. Und zugleich in die Welt neu entstehender Clubs,
Tanzcafes, mit denen zugleich auch eine andere Lebenshaltung bis hin zur
französisch angehauchten Küche England eroberte.
Nicht nur eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten ist es zudem im Buch, die
Fellowes beschört, sondern die Geschichte selber bildet den Abgesang einer Zeit
ab, in der über Jahrhunderte hinweg geltende Regeln und für alles festgelegte
Konventionen ein Ende finden. In den stillen Momenten des Buches wird deutlich,
welch gewaltiger Einschnitt in die gesellschaftlichen Gefüge jener Zeit der
zweite Weltkrieg bedeutet hat.
Wunderbar leicht und elegant erzählt, in jede einzelne Figur mit Sorgfalt die
entsprechende Atmosphäre hineinlegend, ist Julian Fellowes wiederum ein
literarisch hochwertiges Buch gelungen, in dem er weder vergangenen Zeiten
hinterher weint noch der vermeintlich modernen Welt den absoluten Vorzug gibt.
Beide Welten hatten und haben ihre Kraft und ihre Berechtigung. Sehr
empfehlenswert.
Fazit
Wunderbar leicht und elegant erzählt, in jede einzelne Figur mit Sorgfalt die
entsprechende Atmosphäre hineinlegend, ist Julian Fellowes wiederum ein
literarisch hochwertiges Buch gelungen, in dem er weder vergangenen Zeiten
hinterher weint noch der vermeintlich modernen Welt den absoluten Vorzug gibt.
Beide Welten hatten und haben ihre Kraft und ihre Berechtigung. Sehr
empfehlenswert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 31. Mai 2011 2011-05-31 15:11:11