Zu Flavias Zeit war Prinz Charles noch ein kleiner Junge und Großbritannien
wurde von Charles Großvater Georg VI. regiert. Klein und mager sieht Flavia
auf dem Titelbild in ihrem strengen schwarzen Kleid mit weißem Kragen aus, so
dass man ihr auf den ersten Blick eine gefährliche Verbrecherjagd kaum zutraut.
Von Schule für Flavia und ihre älteren Schwestern Daphne und Ophelia ist nicht
die Rede. Die mutterlos auf dem großzügigen Anwesen der Familie de Luce in der
englischen Provinz aufwachsenden Mädchen scheinen sich, vom Einfluss
Erwachsener nur selten gestört, eher selbst zu erziehen. Flavia, die jüngste
der drei, lebt ihre schrägen Interessen im eigenen Chemie-Labor hemmungslos
aus. Rhetorische Eifersüchteleien zwischen den Schwestern werden mit spitzer
Zunge schlagfertig ausgetragen. Als Rache für einen Streich präpariert Flavia
z. B. ungerührt den Lippenstift einer ihrer Schwestern mit Giftsumach.
Als ein Fremder unter merkwürdigen Umständen im Gurkenbeet der de Luces
stirbt, setzt Flavia alles dran, den Fall aufzuklären und ihren in die
Angelegenheit verwickelten Vater zu schützen. Der geheimnisvolle Tote steht im
Zusammenhang mit einer vor 30 Jahren verschwundenen Briefmarke und einem
Todesfall, der sich deshalb während der Schulzeit des alten Colonel de Luce
ereignete. Flavia schwingt sich auf ihr Fahrrad Gladys und ermittelt
höchstpersönlich in den Zentren des Dorfklatschs, der Dorfbücherei und der
kleinen Post. Mit beneidenswertem Selbstvertrauen und einer in jahrelangem
Gezicke zwischen den Schwestern geübten Schlagfertigkeit unternimmt die
Elfjährige eigene Ermittlungen und schreckt dabei auch nicht vor der direkten
Konfrontation mit Mordverdächtigen zurück. Als wandelndes Chemie-Lehrbuch
zeigt Flavia ein besonderes Händchen für chemische und pharmakologische
Details des Mordfalls. Selbst wird man beim Lesen kaum auf die Lösung der
verwickelten Verschwörungsgeschichte kommen.
Die Stimmung der 50er Jahre, als ein Radio noch Röhren enthielt und Väter
darauf achteten, dass ihre Töchter nur in dringenden Notfällen telefonierten,
hat Alan Bradley äußerst charmant getroffen. Liebenswerte Nebenfiguren
(Dagger, der mit Colonel de Luce gemeinsam in der Armee gedient hat, und Mrs.
Mullet der Köchin) können sich im ersten Band um Flavia noch kaum entfalten
und wecken die Neugier auf die Folgebände.
Fazit
Erwachsene Leser, die nicht zu ernsthaft verfolgen, was Flavia in
Reagenzgläsern und Kolben im Labor zusammenbraut, und die keine hohen
Ansprüche an die realistische Darstellung einer Elfjährigen haben, werden von
Mord im Gurkenbeet vorzüglich unterhalten. Für einen All-Age-Roman ist m. A.
die Handlung zu kompliziert und die Sprache zu hintergründig.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 16. Mai 2011 2011-05-16 12:09:25