Entzauberung?
Schon das Titelbild des Buches zeigt die Richtung auf, die Onfray konsequent im
Buch durchhält. Das zeichnerisch verballhornte Portrait Freuds, das durch
einige rote Ergänzungen zum Teufel stilisiert wird. Freud, einer, der als
Person starke Defizite aufzuweisen hatte, wie Onfray eloquent darlegt, der aber,
das vor allem, aus den Defiziten seiner eigenen Person heraus auch eine
wissenschaftliche Methode begründete und entfaltete, die Psychoanalyse, die wie
kaum eine andere geisteswissenschaftliche Methode tatsächlich die Welt, vor
allem den Menschen und seinen Blick auf sich selbst veränderte. Methode und
Person sind im Fall der Psychoanalyse nun untrennbar miteinander verbunden und
so bleibt nicht aus, das ein solch kritischer Blick auf Freud ebenso seine
Methode äußerst kritisch hinterfragen muss.
Die Rezeption des Buches findet dementsprechend äußerst kontrovers statt. Sich
der Kritik zu stellen war den Anhängern der "reinen Lehre" der
Psychoanalyse noch nie ein Leichtes. Und kritische Anfragen an die Psychoanalyse
gibt es durchaus zu Hauf, da ist Onfray weder der erste noch der Gründlichste.
Die Methode selbst fordert in ihren grundlegenden Annahmen und ihrer Wirkweise
ja geradezu zur Kritik heraus, denn eine Evidenz der Methode ist oft nur schwer
nachweisbar (nicht nur, weil Menschen wie Woody Allen fast mit ihren
jahrzehntelangen Analysen kokettieren, oder weil Sergeij Pankejeff, den Freud
selber noch begann, zu behandeln, fast 60 Jahre Analyse absolviert). Was nutzt
eine Methode, die unter Umständen jahrzehntelang nicht zur wirklichen Heilung
führt? Vielfach ernsthafte Anfragen und kritische Bearbeitungen stehen
spätestens seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts im Raum, die allesamt
durch die "Freudianer" nicht konsequent entkräftet werden konnten.
Nun aber setzt Onfray dieser kritischen Sicht auf die Psychoanalyse noch zwei
Erweiterungen in den Raum, die miteinander in Verbindung stehen. Zum einen
bezweifelt er, übrigens fundiert recherchiert und durchaus nicht einfach so von
der Hand zu weisen, die Grundannahme der analytischen Haltung. Das
frühkindliche Konflikte unbewusst weiterhin vorliegen und die Person
entscheidend prägen, dass somit deren Aufdeckung den Kern therapeutischer
Arbeit darstellt und entscheidend bedeutsam ist. Für Onfray gehört dies mit in
den großen Komplex eines "Märchens", als dass er die Psychoanalyse
letztendlich etikettiert. Und zum anderen wendet er sich, das erste Argument
quasi verursachend, gegen die Person Freud selbst, dem er Geldgier, Beugung von
Fakten, Desinteressen am Menschen an sich (Menschen dienten ihm nur dazu, seine
eigene Theorie zu festigen), lebenslange, fast krankhafte Bindung seiner Tochter
Anna an sich, die er persönlich einer Analyse unterzog (eine
"Kardinalsünde" in den Augen sämtlicher Psychotherapierichtungen)
und alles in allem eine kühle Strategie zur eigenen Überhöhung attestiert.
Einer, der Theorien, teils auch "wirre Gedanken" formulierte, um sich
selbst zu erklären.
So besteht die Psychoanalyse nach Sigmund Freud im Verständnis Onfray im Kern
aus nichts anderem, als einer "mythisch überhöhten Selbstdarstellung (des
größenwahnsinnigen) Freuds", der seine eigenen Fragen und Erlebnis in
Theorien formulierte und Patienten allein dazu nutzte, teils auch mit weit
hergeholten Symptomdeutungen, in das Raster seiner Theorie zu integrieren.
Übrigens sollte Onfray nicht dahingehend missverstanden werden, dass er sich
gegen jede Form psychotherapeutischen Handelns und Wirkens stellt. Ihm geht es
ganz konkret nur um die Psychoanlyse nach Sigmund Freud und um Sigmund Freud
selbst.
Hier finden sich im Verlauf der Lektüre dann zunehmend aber auch die Schwächen
des Buches. Fakt ist nämlich auch, dass der gesamte, breite Bereich der
hundertfach vorliegenden psychotherapeutischen Richtungen und Methoden mit der
klassischen Analyse nur mehr wenig anzufangen weiß und kaum mit Elementen der
Freudschen Analyse arbeitet. Dass die Lehre Freuds vielfach ernsthaft als
zirkulär, nicht evident und daher kaum als wissenschaftlich zu kennzeichnen
ist. Hier läuft Onfray höchstens offene Türen ein und kann der Diskussion um
die moderne Psychotherapie nichts Neues beifügen.
Was bleibt ist eine eloquente, fundierte, sorgfältig recherchierte, dennoch
aber stark persönlich gefärbte Abrechung mit einem Idol der eigenen Kindheit
und Jugend (Onfray selbst erläutert im Buch seine frühe Verehrung für Freud).
Eine Abrechung, die dennoch vieles zur Person Freuds im Zusammenhang darstellt
und interpretiert, was so in dieser geballten Form noch nicht vorlag. Und die
damit tatsächlich ein großes stückweit den Mann und Arzt Sigmund Freud
"entzaubert", wie auch die Motive für dessen Entwicklung der
Psychoanalyse höchst kritisch, durchaus aber nachvollziehbar, darstellt.
Dass das Verdienst Freuds, den Weg für die intensive Betrachtung des Menschen
"von Innen" heraus zu öffnen und eine beständige und andauernde
Weiterentwicklung vom Wissen über die Seele und deren Behandlungsmethoden zu
initiieren von Onfray nicht positiv gewürdigt werden kann, ist das Problem des
Autors, dass der Leser sich nicht zu eigen machen muss.
Fazit
Ein leidenschaftliches, stark persönlich gefärbtes Buch, das zu einer
Auseinandersetzung geradezu einlädt und daher im Blick auf diese zentrale Figur
des frühen 20. Jahrhunderts höchst lesenswert ist. Mit genügend kritischem
Abstand zu Freud, aber auch zu Onfray.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 06. Mai 2011 2011-05-06 12:21:07