Es existieren zahlreiche Werke über die Weimarer Republik und zum Aufstieg des
Nationalsozialismus. Jedoch stehen wir immer mehr vor dem Problem, dass die
Zeitzeugen ausgestorben sind, die den Untergang der ersten deutschen Demokratie
miterlebt haben und so authentisch erklären können, wie der Aufstieg Hitlers
möglich wurde.
Theodor Eschenburg hat mit dieser erstmals 1963 vorgelegten Aufsatzsammlung
einen wichtigen Beitrag dazu geliefert. In der hier vorliegenden Neuausgabe des
Piper-Verlages von 1984 wurden einige Aufsätze zu dem Themenkomplex
hinzugefügt, so dass jetzt ein umfassenderes Bild über den Untergang der
Republik existiert, zumal der Autor 1918 14 Jahre alt war und einige der
beschriebenen Persönlichkeiten, so den langjährigen Außenminister Gustav
Stresemann, den Reichskanzleichef Planck und zahlreiche weitere
Persönlichkeiten selber gekannt hatte bzw. durch sie eine Vorstellung weiterer
Persönlichkeiten, wie Hindenburg oder Brüning gewinnen konnte.
Darin liegt auch der Wert dieser außergewöhnlichen Aufsatzsammlung. Zwar
ergibt sich gegenüber der neuesten Forschung nichts unbedingt
"Neues", aber gerade Eschenburg hat die Rolle der Persönlichkeit in
der Weimarer Republik wie meines Erachtens kein anderer Forscher, die
Beziehungen zwischen Hindenburg, Brüning, Groener, Schleicher und Papen in
seinem bis heute unübertroffenen Aufsatz: "Die Rolle der Persönlichkeit
in der Krise der Weimarer Republik" aufzeigen können. Später ist ihm
Horst Möller in seiner Darstellung: "Weimar: die unvollendete
Demokratie" darin gefolgt, dass er an seinen Anfang Portraits der
Reichspräsidenten Ebert und von Hindenburg vorangestellt hat. Eschenburg
fokussiert auch deutlicher als Forscher nach ihm das Problem der Unregierbarkeit
der Weimarer Republik: das Parlament, welches aufgrund des
Verhältniswahlrechtes und der mangelnden Kompromissfähigkeit der nur für ihre
Interessengruppen wirkenden Klientelparteien, niemals stabile Mehrheiten kannte,
war nach den zahlreichen Krisen in Weimar, die Eschenburg detailliert
nachzeichnet, zu Kompromissen nicht mehr fähig. So wurde die Verantwortung nach
und nach in die Hand des sich als "Ersatzkaiser" begreifenden
Reichspräsidenten von Hindenburg gelegt, der im Zusammenhang mit dem
Notstandsartikel 48 und dem Artikel 25 der Weimarer Reichsverfassung
(Parlamentsauflösungsrecht durch das Staatsoberhaupt) das Parlament lahmlegen
konnte. "Die weitreichenden Befugnisse des Staatsoberhauptes waren für
Ebert nützlich, ja unentbehrlich, bei Hindenburg wurden sie zu einer Gefahr.
Diesem fehlte schon bei seiner Wahl zum Reichspräsidenten, allein wegen seines
hohen Alters, die Regierungsbefähigung....Was man Hindenburg, Papen und
Schliecher, mit Abstand aber auch Brüning vorwerfen kann, ist, daß sie Artikel
48 nicht genügend gegen die radikalen verfassungsfeindlichen Parteien, in
erster Linie gegen die Nationalsozialisten, eingesetzt haben." Dies ist
meines Erachtens völlig korrekt. Die entscheidende Weichenstellung für den
Untergang der "improvisierten Demokratie" erblickt Eschenburg - meines
Erachtens zu recht - nicht so sehr im 30. Januar 1933, der Ernennung Hitlers,
sondern in der Entlassung Brünings exakt 8 Monate zuvor. Erst danach sei die
Republik ernsthaft in Gefahr geraten (S. 157). Erst unter Papen wurde der
Reichstag am 31.07.1933 regierungsunfähig, die NSDAP mit 37,3% zur stärksten
politischen Kraft in Deutschland. Eine demokratische Mehrheit war nicht mehr
möglich. Da es Hindenburg und Papen an ihrer Regierungsbefähigung fehlte - im
Gegensatz zu Ebert und Stresemann, traten sie die Regierungskompetenzen an wegen
ihrer zur Haltung zur Verfassung Regierungsuntaugliche ab. Auch diese
Feststellung Eschenburgs scheint mir korrekt. Allerdings wird die Verantwortung
des Wählers für diese Entwicklung übersehen; denn es war der Wähler, der ab
der Juli-Wahl 1932 unregierbare Verhältnisse schuf, die auch mit der erneuten
Reichstagswahl am 06. November 1932 nicht behoben werden konnte.
Eschenburg betont stark die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte der
Weimarer Republik, ohne strukturelle Faktoren (die bahnbrechende Arbeit
Karl-Dietrich Brachers: "Die Auflösung der Weimarer Republik" von
1955 erkennt er ausdrücklich an), da in der Tat die Rolle der Hauptakteure,
ihrer individuellen Eigenheiten und ihrer persönlichen Beziehungen zueinander
in der neueren Forschung zugunsten struktureller Faktoren weniger stark betont
wurde.
Fazit
Auf diesen Aspekt hingewiesen zu haben, darin liegt bis heute das bleibende
Verdienst des verdienten Tübinger Staatsrechtlers. Daher ist das vorliegende
Werk bis heute ein unverzichtbares Standardwerk geblieben.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 21. August 2003 2003-08-21 17:07:09