Debüt mit Qualität
George Clooney gab just den "Americain" in Castel del Monte, einem der
verschlafenen Flecken Apuliens, das landschaftlich den geographischen Rahmen
liefert, in welchem Teresa De Sio in ihre Geschichte erzählt. Gottverlassene
Dörfer, ein fast lähmender Stillstand im Leben der Menschen und vordergründig
klarste Verhältnisse, hinter denen es durchaus gewaltig brodeln kann, das
stellt den inneren Rahmen der Geschichte dar.
Was auf den ersten Blick wie ein Werk der gängigen Frauenliterator erscheinen
mag, entpuppt sich bereits auf den ersten Seiten als ein sprachlich
hochqualitatives Buch mit einer originären Geschichte, voller Ideen und mit
einer bildhaften Sprache beschrieben, die es dem Leser leicht macht, mitten im
Geschehen zu sein.
Eine Art Entwicklungsroman nebenbei, konzentriert auf die Dauer weniger Tage
und Wochen eines jungen Mädchens, fast noch ein Kind. Archina Solimene, die mit
ihren 12 Jahren in eine bedrängende Situation gerät. In an sich bereits
schwierigen Lebensumständen als Tochter eines Tagelöhners lebend, dem sie kaum
etwas bedeutet und zudem in einem an sich erschwerten Alter. Unzugänglich und
fremd wirkt Archina im Umfeld des kleines Dorfes Mangiamuso in Apulien, mit all
seinen feststehenden sozialen Regeln und alten Traditionen. Verschlossen und
eigenbrötlerisch geht sie ihrer Wege.
Zudem beinhaltet das Buch ein Sittengemälde der 50er Jahre im Süden Italiens,
welches minutiös die Enge der sozialen Kontrolle, die Engstirnigkeit der
Provinz und den weit verbreiteten und tief sitzenden Aberglauben jenes
südlichen Landstriches dicht und atmosphärisch zu beschreiben versteht.
Zu guter letzt ist das Buch auch noch ein Kriminalroman, an dessen roten Faden
alle anderen Teile der Geschichte sich entlang hangeln und mehr und mehr zu Tage
treten, ohne dass die Umstände des Mordes wirklich letztendlich sich auflösen
werden. Andeutungen, wohin man auch schaut, in vielfachen Facetten, zumeist aber
hinter dem Rücken.
1956, mitten in den Festlichkeiten des Karnevals, wird Narduccio Greco, ein
junger Gutsbesitzer, tot aufgefunden. Eine Untersuchung ergibt, dass er
vergiftet wurde. Und wer kann vergiften im Dorf? Natürlich das verschlossene,
fremdartig anmutende Mädchen Archina und ihre Schwester, denn beide sind
Heiltrankkundig und verstehen sich auf die Zubereitung auch giftiger Substanzen.
Umgehend gilt Archina als Hexe und Hure (beides gehört interessanterweise im
Aberglauben immer zusammen), war nicht schon Ihre Mutter im Kindbett nach der
Geburt Archinas gestorben? In den Augen der Bewohner vielfältige Zeichen für
die Verworfenheit des 12jährigen Mädchens, dass sich nun mehr schlecht als
recht ihrer Haut wehren muss. Wie ihr das gelingt, wie sie daran reift, welche
Intrigen sie erlebt, wer ihr überraschenderweise hilfreich zur Seite stehen
kann und wer sich alles eifernd gegen sie einschwört und das alles in einer in
Teilen fast surreal anmutenden, altertümlichen Lebensweise, dass ist der Stoff,
aus dem die gut 250 Seiten des Buches gewoben sind. Seiten voller prägnant
gezeichneter Gestalten einer urtümlichen Lebensweise, manche am Leben und
vielen Freudlosigkeiten nach außen hin hart geworden sind wie die
Zwillingsschwestern Santo, deren schon physiognomische Strenge von der Autorin
in wenigen Strichen lebhaft vor Augen geführt wird.
Bereits im Prolog werden die Wirrnisse des Geschehens deutlich. In fast
atemlosen Sätzen, häufig von Assoziationen durchwoben, meldet sich die
Schwester Archinas zu Wort und gibt einen wie gedrängten Einblick in die Zeit
von wenigen Wochen um Karneval 1956 herum, in dem sie durchaus bereits einiges
stichwortartig vorwegnimmt, was Teresa de Sio im Lauf der Geschichte
farbenprächtig und in bildreicher Sprache ausgestalten wird. Vor allem dieses,
dass die Leute nicht auf ihr Herz hören, sich am Unglück anderer weiden und
diese ganz schnell und fast mit Begeisterung an den Pranger stellen.
Fazit
Ein fabelhaftes, farbenprächtiges, das Wesen der Menschen offenlegendes
Erstlingswerk, dass auf den Gegenbildern von Aberglauben und Engstirnigkeit das
eigentlich Freie und Menschliche bestens vor Augen zu führen versteht.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 28. Februar 2011 2011-02-28 21:59:54