Die Geister, die man rief
Schon Goethe wusste, dass man mit den Geistern, die man ruft, auf Dauer
aufpassen muss, sonst entgleiten sie der Kontrolle.
Im Blick auf den fundamentalistischen, gewaltbereiten Islam ist dies
nachweislich in kleineren Bereichen bereits geschehen. Die Taliban in
Afghanistan, von den gleichen Amerikanern bewaffnet und unterstützt, stark
gemacht zu Zeiten gegen die Sowjetunion, die nun seit Jahr und Tag im Kampf
gegen die fundamentalistischen Muslime in Afghanistan stehen. Auch El Kaida ist
letztlich aus einer ähnlichen, am anderen, geographischen Ort zunächst
unterstützten, Gruppe hervorgegangen. Machtpolitische Strategien, die den
Drahtziehern über kurz oder lang über den Kopf wachsen und nicht unmaßgeblich
zur allgemein weltweiten, terroristischen Bedrohung nun beitragen.
Ian Johnson nun ist es zu verdanken, dass in sprachlich intensiver und packender
Form ein fulminant recherchierter Einblick in die Entwicklung des Islam in
Deutschland und Europa vorliegt, der bis in die 30er Jahre des letzten
Jahrhunderts zurückreicht und genauestens aufzeigt, wie kurz- bis
mittelfristige Machtstrategien und machtpolitische Hoffnungen, gerade zu Zieten
des kalten Krieges und im Blick auf die Gegnerschaft zur Sowjetunion, auf lange
Sicht hin unkontrollierbar über den Köpfen derer zusammenschlagen, die
höchstens mittelbar als Nachfahren mit den ursächlichen Ereignisse zu tun
haben.
Der Pulitzer Preisträger Ian Johnson, intensiv an der Aufarbeitung des 11.
September beteiligt und mittlerweile ein anerkannter Experte für den Islam auch
in seiner extrem gewaltorientierten Form, stieß durch Zufall in einem
einschlägigen Buchladen in London auf eine "Weltkarte" des Islam und
hier, verwunderlicherweise, auf eine Moschee in München, das "islamische
Zentrum" als viertwichtigste Moschee.
Dem geht Johnson nun minutiös im Buch nach und beschreibt, über weite Strecken
wie in Roman- und Thrillerform, eine Geschichte der zielgerichteten
Unterstützung des Islam von den Machthabern des dritten Reiches über diverse
Geheimdienste und die CIA bis in die jüngere Vergangenheit hinein. Auch die
aktuell vielgenannte Muslim-Brüderschaft spielt in diesem Zusammenhang eine
tragende Rolle.
Seite für Seite legt Johnson fundiert und bestens informiert Zeugnis darüber
ab, wie intensiv zu Zeiten auch radikal gesinnte Gruppen von Muslimen als
vermeintliche Helfer im Kampf gegen den kalten Krieg oder andere Gefahren für
"die westliche Demokratie" (sprich die Vorherrschaft der Macht auf
dieser Welt) von diversen Regierungen unterstützt und regelrecht aufgebaut
wurden zu einer Stärke und einem inneren Fanatismus, der ganz offenkundig seit
längerem bereits nicht mehr beherrschbar ist. Am Beispiel der Geschichte der
Moschee in München und der Vorgänge in dieser reißt Johnson in bestem
Sprachstil den Vorhang weg und lässt einen ungeschönten Blick auf die
Überheblichkeit und die Selbstüberschätzung von Machtinteressen zu, der klar
vor Augen stellt, dass ein Großteil aktueller Probleme nichts anders sind als
hausgemachte Folgen kurzsichtiger Entscheidungen über Jahrzehnte hinweg.
Erschreckend sind aber auch die Einblicke in die festgefügte Denkweise gerade
solcher islamischer Gruppen. Die Passagen über die innere Haltung des Moslem
in der westlichen Welt, wie sie im Buch unter anderem durch Muhammad Hawari in
einem Vortrag offen gelegt werden, beunruhigen zutiefst.
Und auch über das konkrete Thema hinaus hat das Buch Bedeutung und Wirkung.
Denn diese Form des strategischen Handelns vollzieht sich, nicht zuletzt durch
amerikanische innere Interventionen, ja seit Jahrzehnten weltweit. Von Ägypten
bis El Salvador und Nicaragua zurück nach Lybien reichen die ständigen
Versuche eines "Strippenziehens", die langfristig gesehen immer wieder
zu instabilen Verhältnissen und extremen Haltungen geführt haben.
Fazit
Das Buch ist eine kluge und intelligente, dabei spannend zu lesende, Darlegung
der "gemachten" Entwicklung des Islam mitsamt seinen
fundamentalistischen Ausprägungen, zugleich ein Dokument der geheimen
Arbeitsweise machtpolitischer Strategien und zu guter Letzt eine Mahnung
gegenüber jenen hochfahrenden Einmischungen und Impulsen, die immer wieder nu
aus kurzsichtigen Machtinteressen stattfinden. Eine wichtige Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 25. Februar 2011 2011-02-25 15:02:11