Abrechnung nach enttäuschter Hoffnung
Ein Irrtum war es sehr wohl, zumindest in den Augen von Cora Stephan, dass sie
ehemals ihre Stimme der aktuellen Bundeskanzlerin bei der ersten Wahl ebenfalls
gegeben hat. Voller Hoffnung auf diese Frau mit ihrer sachlich wirkenden Art und
den damaligen, teils leidenschaftlichen, Reformreden.
Hier genau liegt jene Enttäuschung, die zum scharfen, polemischen Ton des
Buches geführt hat. Aus der damals vermuteten, mutigen Reformerin ist nicht der
von Stephan erhoffte Funke für eine Neuorientierung des Landes hervorgegangen,
sondern im Gegenteil eine rein aufs Kalkül und die Sicherung der persönliche
Macht orientierte Politikerin, die schon lange nichts mehr gesagt oder getan
hat, was auch nur im Ansatz als Orientierung für ein kraftvolles politisches
Handeln gelten könnte.
In fast gleicher Stoßrichtung wie Thilo Sarrazin schleudert ihr Cora Stephan
(anders kann man es kaum benennen) vor allem ein grundlegendes Versagen aus
machtpolitisch motivierter Feigheit im Blick auf die notwendigen Reformen des
Sozialstaates entgegen. "Mutti" nennt Stephan Angela Merkel auch in
dieser Hinsicht mit beißendem Spott. Die "wärmende Mutti", die
keinem streng gegenüber treten will (auch wenn das für eine gesunde
Entwicklung und für die Zurechtrückung verfahrener Situationen hier und da
überfällig und notwendig wäre).
Noch einen Schritt weiter lehnt sich Stephan aus dem Fenster, wenn sie Angela
Merkel nun aber höchst polemisch unterstellt, dass die häufigen Hinweise der
Kanzlern auf "Alternativlosigkeit" bei oft teuren Entscheidungen für
den deutschen Steuerzahler gar andeutet, die ehemalige Bürgerin der DDR sei von
den totalitären Strukturen damals wohl noch weit mehr geprägt im Inneren, als
man meinen könnte.
"Der Ton macht die Musik", lautet ein altes Sprichwort, das ist die
Stärke, aber auch zugleich die Schwäche des Buches. Die Stärke, weil Cora
Stephan ungeschminkt daherkommt und sich fast in Rage schreibt, durchgängig.
Das hat Wirkung, durchaus. Das ist authentisch und ummäntelt sich erst gar
nicht mit dem Anschein einer sachlichen, kühlen und differenzierten Analyse.
Die Schwäche aber liegt darin, dass sich Cora Stephan hier und vergaloppiert
und in Teilen wie an Stammtischen üblich argumentiert. "Das soziale Netz
lockt auch diejenigen in die Hängematte, die rechnen können" ist eine
solche Verallgemeinerung..
Man täte Stephan und, vor allem, dem Buch aber Unrecht, sich nur über den
eifernden und wütenden Tonfall zu mokieren. Letztlich spricht aus den Zeilen ja
eine rechtmäßige Enttäuschung, versteht man die Haltung der Autorin. Im
Vergleich zu den merkelschen Reformreden vor der ersten Kanzlerschaft und dem
Hauch von Aufbruch zur Lösung drängender Probleme, das zudem ohne Macho
Attitüden, derer man überdrüssig war ist erschreckend wenig geschehen und ist
tatsächlich zu konstatieren, dass wieder einmal eine politische Gestalt außer
warmen Worten nicht viel in den Überprüfungen des Lebens zu bieten hat. Da ist
Angela Merkel sicher nicht die einzige, da ist sie die Regel und nicht die
Ausnahme. Aber genau darüber kann man in sich enttäuscht bis schäumend
wütend durchaus sein.
Fazit
In dieser Hinsicht bietet das Buch nicht nur einen enttäuschten Aufschrei gegen
die konkrete Person Angela Merkel, sondern zudem noch ein "sich Luft
machen" gegenüber der ganzen Politiker Gesellschaft, die nur mehr aus
Statements und kaum mehr aus ernstzunehmenden und konsequenten Handlugen zu
bestehen scheint. Nicht politisch korrekt, als Sachbuch nicht wirklich ernst zu
nehmen, aber als emotionale Momentaufnahme durchaus anregend zu lesen und
mehrheitsfähig.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 23. Februar 2011 2011-02-23 12:09:54