Blick hinter die Kulissen von Hartz IV
Sein Fahrrad hat er vorsorglich dreihundert Meter entfernt vom Eingang des
Arbeitsamtes abgestellt. Nicht, dass noch jemand am Fahrrad erkennt, dass er,
Thomas Mahler, sich gerade Arbeitslos, sprich als ALG II Empfänger bei der
Arbeitsagentur meldet. Früh um 8, wie er es sich eigentlich vorgenommen hatte,
hat er auch nicht geschafft. Zu verlockend war es, noch ein wenig länger im
Bett zu bleiben, verständlich, nach all den Anstrengungen des Studiums und der
absolvierten Prüfungen und der gerade vollzogenen Kündigung aufgrund von
Liebesdingen.
Doch eine Arbeitstelle war nun noch nicht in Sicht. Ein Zustand von gedachter
begrenzter Dauer. Was Thomas Mahler an jenem Morgen im Arbeitsamt in der langen
Schlange gegen 11 Uhr vormittags noch nicht ahnen konnte ist, dass aus den
gedachten paar Tagen oder einigen Wochen ein ganzes Jahr werden sollte.
Für den Leser allerdings ein Glück., vorweg bemerkt. Denn in
abwechslungsreicher, fließender und kluger Sprache, ohne zu abstrahieren und
mit einer gehörigen Portion geerdeten Humors kann nun der Weg dieses Jahres in
Hartz IV, den Thomas Mahler absolviert hat, mit Gewinn nachvollzogen werden.
Ein Jahr mit vielfachen Erlebnissen, inneren wie äußeren Höhen und Tiefen und
einigen fast abstrusen Einsichten in das System der Verwaltung der
Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Trocken und auf den Punkt wird so unterhaltsam und zugleich lehrreich deutlich,
wie sinnentleert vielfach als hilfreich gedachte "Maßnahmen" sind,
ebenso nachdenkenswert zu diesem Thema setzt Thomas Mahler die Betrachtung einer
ganzen Industrie in den Raum, die mittlerweile von der Versorgung und den
Angeboten an Arbeitslose lebt und die damit natürlich ein hohes Interesse daran
hat, dass allzeit genügend Arbeitslose vorhanden sind. Ein Paradoxum, denn
eigentlich sollen die Maßnahmen jener Anbieter ja dazu dienen, die
Arbeitslosigkeit der Betroffenen möglichst zu beenden.
Aber auch die eigenen, inneren Entwicklungen vermag Mahler präzise und zugleich
unterhaltsam wie mitnehmend zu schildern. Dass es nicht einfach ist, ohne Arbeit
als "Hartzer" sein Selbstwertgefühl zu finden, vor weniger, es
aufrecht zu erhalten. Dass Neid und Gier auch in ihm sich mit der Zeit breit
machten im Blick auf die, die sich alles einfach so leisten können und man
selbst bleibt ausgeschlossen von all diesen wunderbar glitzernden Dingen der
Warenwelt. Aber auch die neue Bescheidenheit und die Folge eines 10 Euro
Scheins, den die Mutter ab und an schickt und der umgehend eine Verdopplung der
Lebensqualität mit sich bringt. Für einen oder zwei Tage.
Demgegenüber dann sein Erstaunen über die tiefe Sinnentleertheit und gar
Inhaltslosigkeit einer Unternehmensberatungsaufgabe, die dennoch dem Berater ein
sattes Stundenhonorar in die Kasse spülen wird. Da Mann an dieser konkrete
Aufgabe mit gearbeitet hat, ist er sehr wohl in der Lage, die völlige
Abwesenheit von Sinn und Gehalt im entsprechend teuer bezahlten Statement zu
bewerten.
Fazit
Ein lebendiger, faszinierender und, vor allem, erhellender Blick auf die Hartz
IV Realität, der vor allem nicht in bedeutungsschwangerer Agonie oder
Depression oder politisch geschliffenen Statements stecken bleibt, sondern ein
lehrreiches, unterhaltsames und höchst lebendiges Bild der "anderen
Seite" in den Raum setzt. Zudem einfach gut geschrieben.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 20. Februar 2011 2011-02-20 15:05:08