Auf dem Weg zum Lernziel Lebenskompetenz
Sieben Thesen sind es, die am Schluss des Buches als Quintessenz von Inge
Faltin, auf den Grundlagen Ihrer direkten Erfahrungen und methodischen
Überlegungen, postuliert werden.
Sieben Thesen, mit denen sie das vorhandene System Schule konstruktiv verändern
möchte und mit denen sie ihr erklärtes Ziel, am Ende der Schullaufbahn die
Kompetenz zum "Lebensunternehmer" (Entrepeneuership) für
Schulabgänger als Primärkompetenz schulischer Leistung sichern möchte.
Voraussetzungen hierzu sind, nach ihren eigenen Erfahrungen, die methodische
Entwicklung einer anderen als der bisher vorliegenden
"Lehrerpersönlichkeit" und eine deutliche Veränderung des
Lehrer-Schüler Verhältnisses.
Hierbei hat zunächst der Lehrer bei sich zu beginnen, nicht beim
"System" oder beim Schüler, um den Schülern nicht etwas
abzuverlangen, dass der eigenen Person völlig fremd wäre. Es folgt als Lehrer
die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit gegen den Anpassungsdruck des
Systems Schule. Die dritte Zielvorgabe an den Lehrer ist die, Vorbild zu sein,
nicht Vorbeter, gefolgt davon, andere (hier die Schüler) zu inspirieren und
nicht im Blick deren individuelle Eigenheiten dagegen zu halten aus reinen
Systemgründen. Durch die innere Übernahme eines Denkens in Winner-Winner
Systemen erfolgt als fünfte These die Kraft, in entscheidenden Momenten dem
Schüler bei der Eigenentwicklung nicht im Wege zu stehen. Ebenso zentral sind
abschließend die Haltungen eines "sich selbst nicht so wichtig
Nehmens" und, ganz wichtig, den Umgang auch mit Niederlagen für sich
selbst zu erlernen.
Diese sieben Grundhaltungen, die stark an die Gesamtkonzeption des
klientenzentrierten Ansatzes nach Carl Rogers in der pragmatischen Umsetzung
durch Thomas Gordon erinnern, ermöglichen es sodann dem System Schule in Person
der handelnden Lehrer, die eigentliche Zielgruppe der Schüler zum eigentlichen
Ziel der Schule, der Erziehung zur Kompetenz im Blick auf die Bildung, auf den
Weg zu bringen. Nicht auf Lehrinhalte soll in Faltins Augen damit primär
verzichtet werden, nicht auf die Überprüfung von Lernzielen, wohl aber auf die
bisher im Raume stehende Methodik, die sich vor allem dadurch ihrer Erfahrung
nach kennzeichnet, dass defizitär ausgebildete Persönlichkeiten ihren ganz
eigenen Stil nach Gutdünken als Lehrer im Klassenzimmer den Schülern
"angedeihen" lassen können.
Dies war die Grunderfahrung in der Begleitung ihres eigenen Sohnes Daniel durch
dessen Schulzeit, die sie selbst als eine Form des Glücksspiels benennt. Je
nachdem eben, ob ein kompetenter Lehrer mit Persönlichkeit und Kritikvermögen
ihren Sohn zeitweise begleitete, oder im Gegenteil Persönlichkeiten mit
Defiziten in der Persönlichkeit, mit eigenen Schwierigkeiten in der Motivation
und mit offenkundigen Lücken in der Kompetenz.
Zum damaligen Zeitpunkt verblieb Inge Faltin nicht in der Außenbetrachtung und
der reinen Anklage, sondern nahm, ausgelöst durch die Erfahrungen ihres Sohnes,
den beruf der Lehrerin an, besah sich die wesentlichen Teile und Elemente des
Rahmensystems und der inneren Abläufe, führt eine Art Tagebuch und legt nun
ihre gesammelten Erfahrungen vor.
Flüssig und einfach zu lesen spürt man dem Buch ab, dass Inge Faltin sehr
konkret und präzise ihre Erfahrungen und Rückschlüsse darzustellen vermag,
diese mithin tief reflektiert hat. Durch vielfache praktische Beispiele aus dem
Schulalltag, die sie zu abstrahieren versteht und damit allgemeingültige Regeln
des Status Quo darzustellen vermag, taucht beim Leser ein Aha-Erlebnis nach dem
anderen auf, ebenso, wie eigene Erinnerung zuhauf wachgerufen werden. Ihre
sauber heraus gearbeitete Forderung nach einer konstruktiven Lösung mitsamt der
von ihr selber eindrucksvoll umgesetzten Haltung als Lehrerin, umfassend
vorbereitete "Lebensunternehmer" aus der Schule entlassen zu können
ist schlichtweg überzeugend. Die grafische Darstellung als "Haus des
Lernens" mit der Auflistung aller notwendigen Schlüsselkompetenzen und dem
Weg zu diesen in der Mitte des Buches bietet eine einfache, zugängliche und
verständliche Orientierung durch das Denken und die Ziele Inge Faltins. Niemand
braucht ein abgeschlossenes Studium, um dieses Buch zu verstehen.
Fazit
Inge Faltin greift aus ungewohnt persönlicher Sicht mit ihrer Kompetenz der
Reflektion und gelungenen Darstellung das wichtigste, gesellschaftspolitische
Thema der Gegenwart auf und bietet eine umfassende Darstellung der wirklichen
Probleme sowie eine durchdachte Möglichkeit der Lösung dieser Probleme. Ob sie
gehört wird? In einem Land mit hunderten unterschiedlicher Schulformen und
kultuspolitischer Eitelkeiten und Animositäten ist leider zu befürchten, dass
auch dieser hervorragende Diskussionsbeitrag im Gestrüpp sich verheddern wird.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 18. Februar 2011 2011-02-18 20:09:10