In der Schleiereulen-Familie Alba weiß jedes Eulenkind, was von ihm erwartet
wird. Im Alter eines Ästlings soll sich eine Jungeule aus der sicheren Höhle
auf einen Ast wagen und mit 2 Jahren sollte sie fliegen können und das
elterliche Nest verlassen. Mit strengen Regeln wollen alle Euleneltern im Wald
von Tyto ihre Brut schützen; denn sie sind vom Verschwinden von Eiern und
Küken beunruhigt. Nur kurze Zeit nachdem Eglantine, das langersehnte dritte
Kind von Marella und Noctus Alba ihre Eischale gesprengt hat, fällt ihr Bruder
Soren aus dem Nest und wird augenblicklich von einer älteren Eule geraubt.
Obwohl Soren noch Eltern hat, soll er im Eulenwaisen-Internat Sankt Ägolius zu
einem gehorsamen Eulensklaven umerzogen werden. Gylfie, die kleine Elfenkäuzin,
wurde sogar aus dem Wüstenkönigreich Kuneer in die Steinschluchten von
Ägolius verschleppt. Unter Aufsicht von Tante Finny müssen die gekidnappten
Eulen schnellstens wieder verlernen, was sie von ihren Eltern übernommen haben.
Streng verboten sind alle Fragen; denn Fragenstellen ist nach Meinung der
Herrschenden ein Zeichen von geistiger Maßlosigkeit.
Nachdem die Zöglinge im Mondlicht mondwirr gemacht wurden, können sie
Wirklichkeit und Täuschung nicht mehr unterscheiden. Das Eulen-Waisenhaus ist
organisiert wie ein Arbeitslager; geherrscht und befohlen wird mit den
Sprachhülsen totalitärer Regimes. Im Akkord müssen Gewölle gezupft und Eier
gewendet werden. Gylfie schmiedet Fluchtpläne. Sie sammelt so viele
Informationen über Ägolius wie möglich und ist besonders interessiert, für
welche Schlachten hier Krampfkrallen gelagert und gewartet werden. Die zierliche
Elfenkäuzin will verhindern, dass Soren und sie ebenfalls ihr Urteilsvermögen
verlieren und sich Eulen außerhalb des Lagers entfremden. Gylfie stammt aus
einer anderen Eulen-Kultur; in der Wüste sind kränkende Bemerkungen über
Aussehen und Größe anderer nicht üblich. Soren hat in Gylfie eine überaus
kritische und mutige Gefährtin gefunden. Doch bevor an eine Flucht aus Ägolius
auch nur zu denken ist, müssen die beiden Eulenkinder sich selbst das Fliegen
beibringen. Gylfie erinnert sich aus Kuneer an einen wichtigen Rat zum
Fliegenlernen: Zum Fliegen braucht man keine bestimmte Größe, kein bestimmtes
Alter, sondern Selbstbewustsein.
Ihre Begegnung mit dem etwas ungehobelten Bartkauz Morgengrau auf der Flucht
(auch er ist aus Ägloius geflüchtet) führt die jungen Eulen auf eine Mission,
von der wir noch nicht wissen, ob sie Eltern und Kinder wieder zusammenführen
kann. Stärkstes Band ist im Moment der Bund geraubter Eulenkinder.
Kathryn Lasky vermittelt mit ihrer Fantasy-Handlung sehr geschickt die
Bedürfnisse von Eulenvögeln. Die eulische Kultur mit ihrer typischen Sprache,
in der eine Blindschlange bei Albas als Nesthälterin die Eulenhöhle in
Ordnung hält, sind der Autorin hinreißend gelungen. Indem sie Soren daran
zweifeln lässt, ob in Ägolius tatsächlich Eulen ausgebildet werden, die in
freier Wildbahn leben können, lenkt Lasky unsere Aufmerksamkeit auf das Vorbild
der Eltern für die Entwicklung junger Eulen. Wie sich eine Diktatur an der
Macht hält, indem sie ihre Bürger von Informationen abschneidet, wird am
Beispiel des Systems Ägolius verblüffend eindringlich gezeigt. Die im
Temperament so unterschiedlichen Eulenkinder Soren und Gylfie bieten jungen
Lesern ideale Identifikationsmöglichkeiten
Fazit
Mit dem ersten Teil ihrer dreibändigen Reihe Die Legende der Wächter ist
Kathryn Lasky derAuftakt zu einer glaubwürdigen Fantasywelt gelungen, in der
den jungen Helden noch aufregende Abenteuer bevorstehen. Empfohlen ab 10 Jahren.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 13. Februar 2011 2011-02-13 08:42:46