Erschütternd
Auschwitz war das größte, im perversen Sinne bestens organisierte
Vernichtungslager, dass die Welt je gesehen hat. Und Rudolf Höß war sein
Kommandant. Nationalsozialist mit bis zum Ende ungebrochener Überzeugung, vor
allem aber einer der ganz wenigen Nationalsozialisten überhaupt (und zudem ein
ausführendes Organ an extrovertierter Stelle), der ein umfassendes
Selbstzeugnis verfasst und hinterlassen hat.
Während der Zeit seiner Gefangenschaft vor seiner Hinrichtung setzt Höß an,
über sein "inneres Leben" Rechenschaft abzugeben, das Ergebnis sind
damals gut 300 eng beschrieben Seiten. Grundlage des Buches von Jürg Amman,
für die es an sich bereits starker Nerven bedarf, sie sich zu Gemüte zu
führen.
Auch wegen der geschilderten, unmenschlichen Vorgehensweise, vor allem aber
aufgrund der kühlen, distanzierten Haltung und Sprache, die Höß, ganz der
befehlsausführende Verwalter der Vernichtungsmaschinerie des dritten Reiches,
Seite für Seite vor Augen führt. Selbst jene Momente, in denen er immer wieder
betont, wie zuwider ihm in Person das alles gewesen sei, verlieren aufgrund der
sachlich nüchternen Darstellung und der Haltung, die zwischen den Zeilen zum
Ausdruck kommt, jede Glaubwürdigkeit. Bis zum letzten Atemzug bleibt Höß
ungebrochener Nationalsozialist, er bedauert durchaus die Greueltaten der
Vernichtung, dies aber nicht aufgrund der unmenschlichen Handlungsweise, sondern
weil diese Handlungsweise das Bild der Nationalsozialisten in den Augen des
Restes der Welt so negativ geprägt hat.
In der literarischen Form eines monologischen Monodramas setzt Amman in der
Bearbeitung der Selbstaufzeichnungen 16 Stationen in den Raum. Eine radikale
Quintessenz der Aufzeichnungen des Lagerkommandanten. Wie Amman sagt, hat er
selbst sehr wenig nur verändert und hinzugefügt oder geglättet, in weiten
Teilen des Monologs nutzt er die Selbstaussagen und die eigenen Formulierungen
von Rudolf Höß.
Die eigentliche Kunst somit, für die Jürg Amman Anerkennung gebührt, ist
seine unnachahmliche Verdichtung der Aufzeichnungen. In einfachster Sprache,
verdichtet auf den Punkt gebracht, ergibt sich auf den gerade einmal knapp 110
Seiten des schmalen Buches eine Selbstdenunziation sondergleichen, ein Abbild
des Schreckens, ein Ahnen dessen, wie die überzeugten Fanatiker des dritten
Reiches von Innen ausgesehen haben mögen. Weniger als Entschuldigung mögen da
die Kindheitsjahre und -Erlebnisse gelten, die kühle Distanz zu den Eltern, den
Geschwistern, die Nähe zu (wehrlosen) Tieren, mehr als Erläuterung der
Befindlichkeit einer ganzen Generation des ersten Weltkrieges dienen jene ersten
Seiten des Monologs. Eine quasi religiöse, soldatische Befindlichkeit, die den
Nährboden für jene hierarchische Eingliederung und Führerverehrung gebildet
hat, aufgrund derer jeder Befehlt des Führers und seiner Statthalter als heilig
empfunden wurde. Nicht ohne Grund waren die Lebensjahre des heranwachsenden
Höß vom Ziel geprägt, Priester zu werden.
Menschlichkeit und Mitleid finden nur in engen Bezügen ihren Platz. Da, wo
Höß eindringlich von seiner Familie, seinen Kindern spricht und in Verkehrung
aller humanistischen Möglichkeiten mit sicherer Hand von den Freiheiten seiner
Kinder im Lager erzählt und tatsächlich niederlegt, wie schwer es für seine
Familie gewesen ist, ihn oft aufgrund seiner "dienstlichen
Verantwortung" im Familienkreis missen zu müssen.
Das Bild des schwer arbeitenden Vaters erlebt hier eine Pervertierung
sondergleichen.
Da spielen seine Kinder im eigenen, blühenden Garten, von Häftlingen gepflegt,
neben den Krematorien. Höß rühmt noch die Freundlichkeit seiner Familie den
Häftlingen gegenüber, wohl wissend, dass all die Boten und Gärtner einige
Tage später in Asche aufgehen werden.
Fazit
Der Monolog von Amman ist in keiner Weise monoton, sondern gibt ein
erschütterndes Zeugnis darüber ab, wie es im Inneren von Menschen aussieht,
die sich jeder allgemeinen Mitmenschlichkeit und jeder Form persönlicher
Reflektion und Reue entledigt haben. Ein Buch, das in jeden Geschichtsunterricht
gehört um die Augen für das Niederste zu öffnen, zu dem hin sich Menschen
entwickeln können. Umgesetzt in sprachlich dichter und eindrucksvoller Form.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. Februar 2011 2011-02-07 20:20:46