Essen und Trinken im 20. Jahrhundert
In 10-Jahres Schritten vollzieht Sybil Gräfin Schönfeldt eine literarische
Reise der besonderen Art. Das Essen und die Essgewohnheiten sind es, denen sie
ihr Augenmerk widmet und dem Leser dadurch ganz besondere, teils längst
vergessene, Eindrücke des kulinarischen Lebens der letzten gut 100 Jahre.
Eine Zeitspanne, in der sich in teils rasantem Tempo der gesamte kulinarische
Bereich beständigen Veränderungen und Wechseln ausgesetzt sieht. Gewohnheiten
und Lebensmittel, die über hunderte von Jahren fest angestammte Plätze im
Leben der Menschen hatten, erleben durch technische Innovationen, durch die
Zeitgeschichte und durch moderne, medizinische Erkenntnisse einen stetigen
Wandel.
Wandel, den die Autorin in angenehmer, nie oberlehrerhaft wirkender, Sprache
nachvollzieht und hierbei jeweils auf die Besonderheiten der Epochen eingeht.
Beginnend in der "guten alten Zeit" der klaren Trennung der Klassen
noch wirft sie zu Beginn einen charmanten Blick auf die kaiserlichen Menüs und
das ansonsten gutbürgerliche Essen zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Die
erlesene Menüfolge des Kaisers ist hierbei das eine, wie die Vorlieben des
Kaisers bei Essen, Kleidung und Verhalten Eingang fanden in das Volk, wie sehr
die "oberen" zur damaligen Zeit auch kulinarisch als Vorbilder galten,
das arbeitet Schönfeldt wunderbar heraus. Ebenso erhellend aber der Blick auf
die 50er Jahre, Jahre, in denen die heutige Fast Food Kultur langsam ihren
Beginn nahm, Pommes Frites, Pizza, Würstchen auf die Schnelle in Mode kamen
(und bis heute nicht aus der Mode geraten sind).
Die Novelle Cuisine der 70er Jahre, die Slow Food Bewegung der 80er Jahre, das
Aufkommen der Massen an Fernsehköchen bis zum Jahre 2000 (hier endet die
vergnügliche, kulinarische Reise) werden sorgsam vorgestellt und in Teilen auch
in ihren Wurzeln kenntnlich gemacht.
Zu jeder Dekade wählt Sybil Gräfin Schönfeld literarische Texte von Rang,
teils in direktem Zusammenhang stehend (Falladas "Kleiner Mann, was
nun?"), teils durch ein Stichwirt verbunden ("Der Butt" von Grass
in den 70ern der Novuelle Cuisine).
Ein bunter Reigen ergibt sich im Buch aus interessanter, längst vergangener,
Esskultur im wahrsten Sinne des Worte, aus einer Vernachlässigung des Essens
als gesellschaftlichem und gesundheitlichem Akt bis hin zur Gegenwart, gepaart
mit dem erhöhten Interesse am besonderen Essen durch Sterneköche und
Fernsehshows. Hier wird die Reibung und Spannung besonders deutlich, welch
breites und öffentliches Thema Essen im Lauf der Jahre geworden ist und wie
wenig Augenmerk der einzelne auf das Essen im Alltag nur richtet. Dies alles
paart die Autorin mit dem literarischen Vergnügen, ausgewählte Texte der
Literatur der entsprechenden Dekaden vorzustellen und in Verbindung zu
setzen.
Abgerundet wird das Buch durch eine ganze Reihe anregender Rezepte.
Fazit
Flüssig geschrieben mit interessanten Erkenntnissen, unterhaltsamer Darbietung
und wichtiger Literatur ist das Buch durch die Bank empfehlenswert und ein
reines Lese (und Eß) Vergnügen, das zum Nachkochen und Nachsinnen anregt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 24. Januar 2011 2011-01-24 19:56:36