Sebastian Haffner hat hier eine beeindruckende plastische Darstellung der
Deutschen Geschichte von Bismarck zu Hitler vorgelegt. Haffner gelingt es, die
wesentlichen Entwicklungen und Ereignisse der deutschen Geschichte von der
Entstehung des Norddeutschen Bundes 1866 bis zur Niederlage Deutschlands im von
Hitler entfesselten Zweiten Weltkrieg virtuos und bravourös darzulegen.
So charakterisiert Haffner treffend die Gedankengänge Bismarcks und seine
Außenpolitik des Maßes und der Zurückhaltung. Diese konsrastierte mit einer
konfrontativ gegen die "Reichsfeinde" Zentrum und Sozialdemokratie
angelegten Innenpolitik. Nach seiner Entlassung kehrten sich die
"Fronten" um: die Innenpolitik unter Wilhelm II. beruhigten sich, der
letzte deutsche Kaiser personifizierte offensichtlich Sehnsüchte seiner
Landsleute, die Kaiserzeit sei innenpolitisch eine "glückliche" Zeit.
Außenpolitisch seien jedoch zahlreiche Fehler gemacht worden. Insbesondere habe
Wilhelm II. das kunstvoll von Bismarck geschaffene Bündnissystem, welches
Frankreich isolierte, zerrissen und insbesondere durch die Konfrontation mit
England (Verletzung der belgischen Neutralität durch den sogenannten
Schlieffen-Plan) sowie durch bedingungslose Unterstützung Österreich-Ungarns
gegen Serbien (und damit gegen Rußland) den ersten Weltkrieg ausgelöst.
Haffner schildert dann ausführlich die Ereignisse des Ersten Weltkrieges, eines
brutalen Stellungskrieges, der durch das Eingreifen der USA gegen Deutschland im
Jahre 1917, letztlich gegen Deutschland entschieden wurde, und geht auf das
"Schlüsseljahr" 1918 ein, in welchem die Militärführer um
Ludendorff und Hindenburg der zivilen Führung und insbesondere der "neuen
Reichstagsmehrheit" aus SPD, Linksliberalen und Zentrum, die
"Schuld" für die militärische Niederlage im Krieg zuschoben. Dies
geschah - leider - mit Erfolg, wie das Wirken der sogenannten
"Dolchstoßlegende" aufzeigte. Die Zeit der Weimarer Republik
unterteilt Haffner in 3 Teile: die Zeit der innenpolitischen Wirren mit der
Inflation und dem Rathenau-Mord bis 1924, die "ruhigen" Jahre bis 1929
und die Zeit der Auflösung der Republik bis 1933. Nun ist diese Zeit der
deutschen Geschichte ausführlich erforscht worden, unzählige Publikationen
liegen darüber vor. Die Kunst Haffners b esteht hierin, die wesentlichen
Entwicklungslinien dieser Zeit, die bereits im "Epochenjahr" 1918
angelegt gewesen seien, innen- und außenpolitisch herauszuarbeiten. Haffner
zeigt Elemente von Kontinuität und Diskontinuität im politischen Denken und
den Zielen der deutschen Eliten auf. So überrascht es nicht, dass er bei der
Beschreibung des Nationalsozialismus die in der deutschen Geschichtswissenschaft
viel diskutierte Frage, ob das Dritte Reich in der Kontinuität zum Deutschen
Reich stand oder ob Elemente der Diskontinuität überwögen, zu der
Feststellung gelangt, "daß es Elemente der Kontinuität und Elemente der
Diskontinuität gegeben hat,daß aber die Kontinuitätselemente alles in allem
überwogen." Den Aufstieg des Nationalsozialismus, dessen 12 Jahre er
akribisch bis zum bitteren Kriegsende 1945, höchst eindringlich beschreibt,
führt er neben Wirtschaftskrise, Unzufriedenheit mit dem politischen System von
Weimar, hauptsächlich auf die Ausstrahlung der Person Hitlers zurück, der
"böse aber groß" gewesen sei. Diese These, aus seinen "
Anmerkungen zu Hitler" bekannt,
belegt der Autor nochmals. Haffner lässt durchblicken, dass er aufgrund der
leidvollen Erfahrungen der deutschen Geschichte, keine Chancen auf eine
Wiedervereinigung gesehen hat: "Die Geschichte der letzten 42 Jahre hat vom
deutschen Reich immer weiter weggeführt... Ein Rückblick auf seine Geschichte
macht es fraglich, ob dies wirklich zu beklagen ist.". Seine Sorge: dass
die von den Nachbarstaaten als bedrohend empfundene deutsche Macht zu
Instabilität und Spannungen in Europa führen würde (er betrachtet diese
Machtausdehnung als den eigentlichen Grund des Ausbruches des ersten
Weltkrieges), lässt ihn auch nach der Wiedervereinigung nicht los: in seinem
1990 aktualisierten Nachwort - das Buch erschien erstmals 1989 - begründet er
dies: die unerwartete Wiederherstellung des deutschen 80-Millionen-Kolosses
biete Anlass, seine bisherige Geschichte - die Geschichte seiner Wandlungen von
Bismarck zu Hitler - möglichst klar ins Gedächtnis zurückzurufen. "Diese
Geschichte bleibt, was sie gewesen ist, und ihre Lehre, daß Deutschland der
Welt sehr schnell ein ganz verändertes Gesicht zeigen kann, ist aktueller denn
je."
Insgesamt gebe ich der Münchener Abendzeitung recht, deren Rezension auf dem
Buchrücken der Taschenbuchausgabe abgedruckt ist: "Ein Buch, das mehr
Geschichtsverständnis bietet als Stapel von Historikerschwarten."
Schade ist, dass Haffner, der hier Geschichte - wenn auch packend -
"erzählt", keinerlei Quellen für seine Thesen nennt, wenn er auch ab
und zu Historiker, deren Publikationen er wichtig findet, benennt. Insofern
eignet sich das Buch hervorragend als erster Überblick in die neuere deutsche
Geschichte, die fesselnd geschrieben ist - auch wenn mich einige Feststellungen
des Autors, etwa der, dass das "Dritte Reich" kein totalitäter Staat,
sondern ein Doppelstaat gewesen sei, befremdet haben, da sie meines Erachtens
nicht ausreichend belegt wurden. Die plastisch-eindringliche Darstellung jedoch
ist gut gelungen: man spürt, dass hier ein Zeitzeuge, der den Aufstieg Hitlers
selber erlebt hat, aus eigenen Erfahrungen spricht. Und dies macht den Wert
dieses wichtigen Buches aus. Als ergänzende Lektüre zur Vertiefung mit Quellen
sei noch empfohlen:
Gordon A.
Craig: "Deutsche Geschichte 1866-1945" sowie von
Christian Krockow: "Deutsche
Geschichte 1890-1990".