Die Chemie des Denkens
Um es gleich vorweg zu stellen: Nein, dieses Buch dient nicht dazu, ein
fotografisches Gedächtnis zu entwickeln, Prüfungsstoff im Schlaf zu lernen
oder übersinnliche Fähigkeiten zu erwerben. Hier ist der deutsche Titel ein
wenig missverständlich ausgefallen. Eine wörtliche Übersetzung: "Die
Traum-Apotheke" wäre zwar nicht eingängig und leicht zu verstehen, kommt
den Intentionen des Autors aber näher. Fest in den Blick nimmt er die Chemie
des Gehirns und erarbeitet eine vereinheitlichte Theorie, wie gerade
psychedelische und andere Drogen das empfindliche Gleichgewicht der Chemie des
Gehirns beeinflusse, stören, gar zu irreparablen Schäden führen. Und ebenso
legt er seinen Blick auf jene, ärztlich kontrolliertem Zuführungen von Chemie,
um Reparaturen am chemischen Gleichgewicht des Gehirns durchzuführen.
Mithin, das Buch ist ein ausgewachsenes, neurowissenschaftliches Fachbuch und
kein Ratgeber, um die eigenen grauen Zellen richtig in Schwung zu bringen. Den
Stand der Dinge im Blick auf die Biochemie des Gehirns und die Folgen von außen
zugeführter Chemie legt Hobson in sechs Teilen vor.
Teil 1 und 2 legen die Grundlagen in der Darstellung des gegenwärtigen
Verständnisses von Bewusstseinserweiterungen aus chemischer Sicht. Spannend
hier zu lesen, wie subjektive Erfahrungen neurowissenschaftlich gemessen werden
können. Der Weg zum "gläsernen Denken" scheint durchaus rasche
Fortschritte zu machen. Ebenso definiert Hobson hier einen neuen Begriff.
Neurodynamisch nennt er jene Ebene des Einflusses von Wirkstoffen, die zu
früheren Zeiten nicht dinglich, sondern rein psychodynamisch begriffen wurde.
Im dritten Teil wendet sich Hobson der Struktur des Gehirnes zu und verweist auf
jene chemischen Ereignisse, die Veränderungen des Bewusstseins auslösen
können. Auch eindeutige Erkrankungen führt er hier als praxisrelevante
Beispiele ins Feld, die das Bewusstsein von Menschen definitiv verändern. All
diese Verweise und Einlassungen zu den chemischen Prozessen, die unser
Bewusstsein steuern, sind als Vorbereitung für die abschließenden Kapitel
konzipiert, der Schwerpunkt des Buches in der Erarbeitung chemischer Substanzen
und deren Wirkung auf das Bewusstsein durch einerseits gezielte (Arzneimittel)
und andererseits unkontrollierbare (psychedelische Drogen) Auswirkungen auf den
chemischen Haushalt des Gehirns. Im Arzneimittelbereich unterschiedet Hobsen
zudem je in eigenen Kapiteln in Arzneimittel direkterer Natur, die z.B. im
Bereich Schlafstörungen oder innerer Unruhe zum Einsatz kommen, und zum anderen
in Psychopharmaka, die gezielt das Bewusstsein zum Motor für eine Veränderung
beeinflussen können.
Aus dieser letzten Art des chemischen Eingreifens zieht Hobson dann auch seine
Kernthese, die Korrektur des klassischen psychoanalytischen Ansatzes von Freud,
der in seinen Augen auf einer falschen Prämisse (der Traumdeutung) beruht und
sich nun den Erkenntnissen der Neuropsychologie zu stellen hat, um die Chemie
des Gehirns selber in einem dynamischen Prozess in eine Analyse mit ein zu
beziehen.
Fazit
Das Buch ist fundiert wissenschaftlich konzipiert und verfasst, rein fachlich
orientiert in Stil, Sprache und Form und daher trocken und, in Teilen, äußerst
abstrakt vorliegend. Zwar ist es möglich, die biographischen Anekdoten mancher
Forscher und mancher Versuchsreihen sich schnell zu Gemüte zu führen, im
Gesamten aber bedarf das Buch einer intensiven Durcharbeitung. Zur zu Grunde
liegenden Frage der Chemie des Gehirns und der chemischen Steuerung des
Bewusstseins bildet das Buch allerdings tatsächlich ein Standardwerk des
gegenwärtigen Standes der Wissenschaft für Forschung und Lehre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 27. November 2010 2010-11-27 16:23:56