Fremd in der Welt
Helene Visconti schreibt ihre Lebensgeschichte und diese ist sehr wohl, nicht
nur im äußern Ablauf, sondern auch in den inneren Entwicklungen,
außergewöhnlich genug, ein Buch zu rechtfertigen.
Der beschriebene Lebensweg führte in extreme Welten. In Algerien geboren, ein
Land, in das ihr Vater als Kind aus Spanien kam und in dem sich der Vater
bestens akklimatisiert hatte. Ein Leben nicht in Armut, aber doch in der
traditionell geprägten algerischen Gesellschaft. Gerade für Mädchen und
Frauen bedeuteten diese Traditionen (in Teilen Algeriens bis heute noch)
deutliche Einschränkungen der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten.
Einschränkungen, die Helene Visconti von Kindheit an aus ihrer Natur heraus
nicht bereit war, hinzunehmen. Schon zu jener Zeit also, in der kleinen
Küstenstadt in Algerien, fühlte Helene Viscontis ich fremd. Nicht am rechten
Platz, innerlich nicht heimisch trotz der unbeschwerten Umstände ihrer
Kindheit.
Vielleicht findet sich hier auch eine gewisse Fremdheit der Zeit gegenüber, in
die hinein sie geboren wurde. 1932 begann die Welt bereits, sich anders zu
ordnen, Krieg folgte und die entsprechende, unübersichtliche Nachkriegszeit, in
der vieles sich neu ordnete. Eine Chance der Neuordnung auch für die junge
Algerierin. Ihren Geburtsnamen Elena hatte sie schon bald in Helene verändert,
ihr gesamtes Wesen entsprach vor allem in dem wohl angeborenen Freiheitswillen
nicht dem Ort, der Zeit und den gängigen Verhältnissen ihrer Lebensumstände.
Im Rahmen der algerischen Unabhängigkeitsbewegung musste die Familie das Land
verlassen, Helene ging nach Paris. Aber auch dort, eindrücklich im Buch
geschildert, fand sie keine innere Heimat. Im Gegenteil, auch hier passte sie
nicht in die Konvention, eckte an, war nicht bereit, sich dem leicht
dahinfließenden Pariser Boheme Leben anzuschließen und scheitert letztendlich
an einer Aufenthaltsgenehmigung. Spanien leidet unter der Diktatur, auch hier
ist keine Heimat mit innerer Freiheit in Sicht. Als weitere Station folgte
Italien, eine Karriere als Mannequin begann, die Helen Visconti bis in die
höchsten italienischen Kreise führte. Sie heiratete einen Bruder der Luchino
Visconti und ist seitdem Teil einer der ältesten und einflussreichsten
italienischen Adelsfamilien.
Schritt für Schritt eroberte sie sich so eine neue Heimat, die nach langem
Anlauf dann endlich nicht nur äußere Heimstatt, sondern tatsächlich innere
Heimat wurde. Als Spanierin in Algerien geboren, algerisch geprägt und
aufgewachsen, Französin gewesen und Italienerin geworden, äußere Stationen
als Bilder innerer Suche und ein Erleben von Fremdheit in sich über lange Zeit,
die Helen Visvonti bis zur Gegenwart in ihrer Person prägt.
In durchaus lesbarem, eher nüchternem Stil, geschrieben breitet Visconit diesen
inneren Weg durch und in der Fremde aus, wobei es ihr gelingt, nicht allein um
äußeren des Lebensweges (der schon spannend genug ist) stecken zu bleiben,
sondern immer wieder das generelle und alle Menschen betreffende Thema der
Fremdheit im eigenen Leben offen zu legen. Eine Fremdheit, die immer wieder neue
Motivation für ihre Suche nach dem passenden Ort und dem passenden Leben
bleibt.
Lust auf Zukunft haben, dieser Begriff in der Mitte des Buches ist es, der
unterschwellig der ganzen Lebensgeschichte den roten Faden gibt.
Fazit
Viscontis Lust auf Zukunft richtete sich in all diesen suchenden Jahren auf das
Meer, den endlosen Horizont, auf ein schlichtes, wirklich menschliches Leben
ohne diese engherzige Sicht auf die anderen, die Fremden, die sie auf all ihren
Stationen erlebt hat. Dass man "Frau und Ochs" nur aus dem eigenen
Land zu holen hat, wie es in Italien heißt, diese Enge ist ihr ein Greul und
ihr Buch legt Zeugnis darüber ab, wie es mit Kraft und dem Glauben an das
eigene Leben gelingen kann, gegen alle Widerstände sich nicht zu verlieren in
dieser Welt voller Fremde.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 26. Oktober 2010 2010-10-26 19:10:54