Der bis vor kurzem noch in Oxford lehrende James Howard-Johnston ist ein
angesehener Experte für die ausgehende Spätantike und besonders für das
frühe 7. Jh. Mit dieser Darstellung legt er eine umfassende quellenkritische
Studie vor, die - wie ich vermuten möchte - wohl bald als einschlägiges
Standardwerk für die Zeit von ca. 600 bis 700 für den östlichen
Mittelmeerraum gelten dürfte.
Dieser Zeitraum war geprägt von dramatischen Umwälzungen, die einen tiefen
Einschnitt in der Geschichte der Mittelmeerwelt bedeuteten. Zu Beginn des 7. Jh.
tobte der "letzte große Krieg der Antike" zwischen dem
oströmisch/byzantinischen Reich und dem neupersischen Sasanidenreich. Kurz nach
dem Sieg Ostroms über den alten Erzfeind Persien, brachen die Araber, die sich
zu dem neuen Glauben des Islam bekannten, in die römischen Orientprovinzen ein
und entrissen Konstantinopel die Kontrolle über Ägypten, Syrien und
Nordafrika. Byzanz war auf ein Rumpfgebiet beschränkt, das die heutige Türkei,
Teile der Balkanhalbinsel und Griechenland sowie einige Stützpunkte in Italien
und Sizilien umfasste. Während Persien vollständig von den Arabern erobert
wurde, konnte sich Byzanz zwar mit Mühe halten. Es war jedoch das endgültige
Ende der Antike und der Beginn einer neuen Zeit, die geprägt war von einem
jahrelangen Abwehrkampf der Byzantiner, so dass man aus
byzantinisch-christlicher Sicht diese Periode durchaus als "Weltkrise"
verstehen konnte. Die arabisch-islamischen Eroberungen beendeten für alle
Zeiten die antike-kulturelle Einheit des Mittelmeerraums, während im Osten eine
neue Kultur entstand.
Nicht zuletzt im Hinblick auf manch heutige, von beiden Seiten bisweilen
hysterisch geführten Debatte, der oft das historische Fundament fehlt, lohnt es
sich, diese Zeit genauer zu betrachten, in der eine neue Weltreligion entstand
und gleichzeitig eine Epoche der Weltgeschichte endete. Ein Grundproblem der
behandelten Zeit stellt allerdings die Quellenlage dar: nur wenige Werke
berichten über diesen Zeitraum, zudem ist ihre Zuverlässigkeit nicht selten
problematisch und der Verlauf vieler Ereignisse ist nur relativ wage bekannt.
Howard-Johnston verwendet den Großteil seiner Arbeit darauf, eben diese Quellen
dem Leser vorzustellen. Dazu zählen Werke, die selbst nicht allen Historikern
immer bekannt sind, wie ein armenisches Geschichtswerk, das einem gewissen
Sebeos zugeschrieben wird; die monumentale Universalgeschichte des Perso-Arabers
Tabari; christliche Universalchroniken sowie heute verlorene Werke.
Howard-Johnston untersucht diese Werke kritisch und ordnet sie in den
geschichtlichen Kontext ein. Erst am Ende seines Werks bietet er eine Synthese
und präsentiert eine historische Rekonstruktion der Ereignisse. Dabei gelangt
er teils zu bemerkenswerten Ergebnissen: so datiert er die Ermordung Alis, des
Schwiegersohns Mohammeds, nicht wie bisher üblich ins Jahr 661 (christl.
Zeitrechnung), sondern ins Jahr 658 (S. 382f.) oder führt die Ermordung des
byzantinischen Kaisers Constans II., von ihm datiert ins Jahr 669 und nicht wie
sonst üblich ins Jahr 668, auf eine vom Hof in Damaskus initiierte
Verschwörung zurück (S. 126). Ob man diese Thesen teilt oder nicht, die
Leistung des Autors, der die relevanten Quellen und modernen Werke (diese
allerdings nicht lückenlos, was aber auch kaum möglich ist) herangezogen hat,
ist beachtlich und anerkennenswert.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob sich Howard-Johnston mit mehreren seiner Thesen
durchsetzen wird. Sicher ist, dass er mit diesem Werk eine sehr interessante,
quellenkritisch fundierte Studie vorgelegt hat, die der Forschung wohl neue
Impulse geben wird und die zudem auch anregend zu lesen ist. Auch Leser, denen
die behandelte Zeit fremd ist, sollten bei Interesse einen Blick riskieren, denn
Howard-Johnston bedient sich eines gut lesbaren Stils und setzt nur punktuell
auf Vorwissen.
Festzuhalten ist, dass mit dem vorliegenden Werk die Geschichte des 7. Jh.s im
östlichen Mittelmeerraum auf ein neues, besser abgesichertes Fundament gestellt
wird. Auch wenn manche Ergebnisse wohl Kritik ernten werden, so wird die
wissenschaftliche Diskussion davon sicherlich nur profitieren können.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
[Profil]
veröffentlicht am 16. Oktober 2010 2010-10-16 15:43:04