Dr. Dörte Martens, Forschungsschwerpunkt Käfergifte, arbeitet beim
Pharmakonzern Biopharm. Dörte lebt allein für die Wissenschaft, ihre Beziehung
zum Leben außerhalb des Labors, besonders zu anderen Menschen, wirkt dagegen
ziemlich eingeschränkt. Die junge Wissenschaftlerin ist neben ihrer
Käferforschung mit der Suche nach der eigenen Vergangenheit und den Umständen
ihrer Geburt beschäftigt. Als auf einer Leiche eine seltene Käferart aus
Madagaskar gefunden wird, gerät Dörtes Leben aus den Fugen; denn die Käfer
können nur aus Dörtes Institut stammen. Der Tote und sein Käferbefall
scheinen jedoch eines der geringsten Probleme für Dörte zu sein. Hat Dörtes
aktueller Lover Viktor Feinde, weil er während seiner Promotion mit der
Manipulation von Forschungsergebnissen konfrontiert wurde? Hat Dörte sich an
ihrem Arbeitsplatz Feinde gemacht? Wer könnte ein Interesse daran haben, sie
oder Viktor unauffällig mit einer lebensbedrohenden Infektion um die Ecke zu
bringen? Im Ausdenken von Katastrophenszenarien stehen Dörte und Viktor
einander kaum nach. In der Pharmaforschung scheint Hypochondrie zum Beruf zu
gehören. Auf dem Höhepunkt der SARS-Welle kann man als Mitarbeiter eines
Instituts, in dem mit Seuchenerregern gearbeitet wird, im Prinzip nur das
Schlimmste erwarten.
Um die Aufmerksamkeit des Lesers konkurrieren zusätzlich mehrere miteinander
verknüpfte Rätsel aus Dörtes Vergangenheit. Ob jemand Dörte oder Viktor aus
dem Weg schaffen will, scheint geradezu harmlos im Vergleich zu den
verstörenden Erinnerungen Dörtes an ihre Kindheit. Sie wurde offenbar von
ihren Eltern vernachlässigt, dann als angeblich geistig zurückgebliebenes Kind
zwischen Heim, Pflegeeltern, Adoptiveltern und der Kinderpsychiatrie hin und her
geschoben. Kein Wunder, dass Dörte als Jugendliche damals ihrem eigenen,
ungeplanten Kind völlig ahnungslos gegenüber stand. Dörtes Erinnerungen
wechseln mit Auszügen aus Akten des Jugenamtes ab und stürzen Frankenbergs
Leser in beunruhigende emotionale Wechselbäder. In keinem Moment kann man der
eigenen Wahrnehmung trauen. Während Dörte ihren Viktor wie ein ungewöhnliches
Glühwürmchen beobachtete, fragte ich mich verstört, ob sie eine geniale
Lügnerin ist oder Schlimmeres. Die Überzeugung, Dörte sei extreme
Psychopathin, Hochstaplerin oder einfach nur ein Opfer der ebenso wohlmeinenden
wie unfähigen Sozialbürokratie, wechselte von Seite zu Seite.
Fazit
Die Autorin führt ihre eigenwilligen Figuren mit äußerst makabren Humor zu
einem versöhnlichen Ende. Bis dahin werden die Leser mit Wechselbädern
zwischen Wahn und Wirklichkeit, Wahrheit und Lüge, Realität und Aktennotizen
in Atem gehalten. Mit ihrer Käferfrau Dörte ist Mika Frankenberg ein
außerordentlich unterhaltsamer Roman gelungen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 07. Oktober 2010 2010-10-07 19:04:48