Drei Länder: Großbritannien, Deutschland, Russland; drei Familien: die
Williams’, die von Ulrichs und die Brüder Peschkow - ein Jahrhundert. Über
1000 Seiten hat der erste Band, der auf drei Bände angelegten Familiensaga des
Bestsellerautors Ken Follett.
Die im Roman erzählte Geschichte beginnt im Juni 1911 und endet nach dem I.
Weltkrieg. Bereits mit dem ersten Satz wird die Leitstruktur deutlich: "An
dem Tag, als George V. in der Westminster Abbey den Thron bestieg, fuhr Billy
Williams zum ersten Mal in die Grube von Aberowen ein."
Im Mittelpunkt steht die Verknüpfung verschiedener Lebensläufe. In einem
wesentlichen Strang konzentriert der Autor sich auf die arme Bergwerksfamilie
Williams. Deren jüngstes Mitglied, Billy, muss ab seinem 13. Geburtstag unter
Tage schuften. Seine Schwester Ethel arbeitet als Dienstmädchen. Lohn und Brot
verdient sie bei der Familie, deren Mitglieder den zweiten Hauptstrang bilden:
den Fitzherberts. Der 28-jährige Earl Fitzherbert gehört zu den reichsten
Männern Großbritanniens - nicht etwa, weil er sich seine Besitztümer selbst
verdient hat, sondern weil "er der glückliche Erbe von Tausenden Morgen
Land ist". Fitz ist mit einer Russin verheiratet, durch sie wird in
gewisser Weise auch die Verbindung zu den Peschkows hergestellt, zwei
elternlosen jungen Männern, die in einem Eisenbahnwerk in Sankt Petersburg
arbeiten.
Wie erwartet, ist Fitzherbert ein versnobter Frauenheld und schwängert -
ebenfalls wie erwartet - die Dienstmagd Ethel Williams. Auch die
Peschkow-Brüder bedienen Klischees: Der brave, moralisch denkende Grigori
spart, um in die Vereinigten Staaten auswandern zu können - und muss sein
Ticket dann doch seinem leichtlebigen Bruder Lew überlassen, weil dieser auf
der Flucht vor der Polizei ist. Grigori heiratet Katharina, Lews schwangere
Freundin, die er - natürlich insgeheim - seit langem liebt. Mehr schlecht als
recht schlägt Grigori sich durchs Leben, während Lew nach dem Umweg über
Cardiff im amerikanischen Buffalo oft vom Glück gestreift wird, das ihm
allerdings - aus eigenem Verschulden - immer wieder aus den Händen gleitet.
Schlussendlich wird Grigori zum Revolutionär und sein Bruder, der zum
wiederholten Mal eine Dummheit begangen hat, muss als Gefreiter zurück nach
Russland.
Der deutsche Demokrat Walter von Ulrich hingegen ist ein guter Mensch. Ganz im
Gegensatz zu seinem erzkonservativen Vater Otto ist er ein Freund von Gleichheit
und Mitbestimmung. Als er Militärattaché in London wird, verliebt er sich in
Lady Maud, die Schwester des Earls. Am Tag der Kriegserklärung heiraten die
beiden, müssen ihre Ehe allerdings während der nächsten vier Jahre geheim
halten.
Der Roman bietet wenig Ãœberraschungen, die Handlung ist - genau wie die
diversen Verstrickungen - vorhersehbar. Vieles wird dem Leser bekannt und
vertraut vorkommen. Das Reißbrett schimmert also in vielen Passagen allzu
deutlich hervor: Billy Williams’ Kommandant an der Front ist Earl Fitzherbert,
Billy weiß, dass dieser der Vater von Ethels Kind ist. Die Komplikationen sind
also vorgezeichnet. In Belgien begegnet der Earl dem Deutschen Walter von
Ulrich, der ohne Fitzherberts Wissen mit seiner Schwester verheiratet ist, auch
Gus Dewar, ein Amerikaner mit weitgehend positiven Charaktereigenschaften,
befindet sich an diesem Frontabschnitt - gemeinsam mit Lew Peschkow, der ihm die
Verlobte ausgespannt hat.
Man merkt es bereits: All das ist ein wenig viel des Zufalls. Gute
Konstruktionen bestechen dadurch, dass der Leser sie nicht bemerkt. Andererseits
ist Ken Follett ein großer Erzähler. Es gelingt ihm, den Leser in Bann zu
schlagen, weil dieser erste Band der Familiensaga durchaus spannend erzählt
ist. Das gilt vor allem für die ersten 700 Seiten; die sehr ausführlichen
Schilderungen der schrecklichen Grabenkämpfe im I. Weltkrieg sind für meinen
Geschmack etwas zu ausführlich geraten.
Wie eine unterhaltsame Geschichtsstunde beschreibt Follett hingegen die
Veränderungen der alten Herrschaftsstrukturen, also den allmählich
fortschreitenden Niedergang des Adels und den Aufstieg der Arbeiter. Auch über
das Leben walisischer Bergleute, nach Amerika eingewanderter Russen, die als
"Paten" ihr Geld verdienen, die russische Revolution und über sich
allmählich emanzipierende Frauen wird der Leser einiges erfahren.
Der Autor recherchiert nicht alleine, so verwundert es nicht, dass historische
Figuren genauso in die fiktive Handlung eingebunden wurden wie Auszüge aus
Parlamentsprotokollen.
Fazit
Schlussendlich handelt es sich um einen soliden Roman, der nicht mit großen
Überraschungen aufwartet, aber dennoch zu einem gewissen Lesevergnügen führen
kann.
Vorgeschlagen von Heide John
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veröffentlicht am 07. Oktober 2010 2010-10-07 13:29:08