Bruderkampf
Vorweg muss bemerkt werden, dass der Titel des Buches ein Stück irreführend
ist.
Nicht in Romanform legt Frederic Beigbeder seine Geschichte vor, eher als
autobiographische Eindrücke kommt das Buch daher, versehen und ergänzt durch
innere Erläuterungen, Gedanken zur eigenen Familiengeschichte und hier im
speziellen zu seinem Verhältnis zu seinem Bruder einerseits und zur
korrespondierenden Zeitgeschichte andererseits.
Schon die ersten Seiten des Buches verdeutlichen dies, auf denen Beigbeder den
Tod eines seiner Onkel an der Front des ersten Weltkrieges elegant wertend
verknüpft mit Hinweisen seiner adeligen (und reichen) Herkunft. Dazu reicht
bereits die Erwähnung der diversen Schlösser, die von diversen Onkels bewohnt
wurden und, in Teilen, noch werden.
Den Anlass des Buches erwähnt Beigbeder ebenfalls. Er wird verhaftet, just am
gleichen Tag, an dem sein Bruder für das Kreuz der Ehrenlegion vorgeschlagen
wird.
In der Zelle beginnt er, über seine Lebensgeschichte zu sinnieren und stellt
fest, wie schwer ihm die Erinnerung, vor allem an alle Ereignisse vor seinem 15.
Lebensjahr, fällt. Also gräbt er tiefer in sich nach.
Keine glücklichen Kindheitsjahre sind es, die er so erfolgreich verdrängt hat
und die nun Seite für Seite mehr nach oben drängen, die er aus seiner ganz
persönlichen Sicht heraus beschreibt, bewertet, in Zusammenhang bringt mit der
Zeitgeschichte jener Zeitspanne, die bei seinem Urgroßvater beginnt und im
Epilog bei seiner 9jährigen Tochter in der Gegenwart anlangt.
Erinnerungen, in denen sein Verhältnis zu seinem Bruder eine entscheidende
Rolle spielt. In diesen Augenblicken des Buches springt einem der Zorn, der
Kampf, die Reibung mit dem Bruder fast aus den Seiten des Buches entgegen.
Frederic Beigbeder, der sich selbst als "Bruder des Vorangegangene"
erlebt, als schwindsüchtigen Schatten des perfekten Erstgeborenen, der nur
anderthalb Jahre älter ist und damit nicht genügend Abstand zu Frederic hat,
um in einem ganz eigenen Universum zu leben.
Ob Charles aber wirklich vorhatte, in der Kindheit seinen, ihn bis auf die
Weißglut reizenden, kleinen Bruder Frederic auszumerzen durch ertränken,
ersticken, erstechen? Drastisch scheint es gewesen zu sein, wenn einer der
Vettern, der mittlerweile als Menschenrechtler arbeitet und massivste Gräuel zu
sehen bekommt, immer noch Erinnerungen an die Schreie des kleinen Frederic mit
sich trägt.
Trotz dieser dramatischen Ereignisse und der, natürlich treffend und höchst
eleganten sprachlichen Möglichkeiten Beigbeders, ist die Familiengeschichte
letztlich nicht von solchem Gehalt oder besonderen Ereignissen, dass 250 Seiten
damit spannend gefüllt wären.
Im Gegenteil, das äußere Erleben der Lebensgeschichte der Beigbeder Brüder
glänzt geradezu von Harmlosigkeit, Privilegien und Erfolg. Nur im inneren Kampf
der Brüder liegt jene nachvollziehbare Dynamik, die den roten Faden in
Frederics Leben als Rebell letztlich zu erklären vermag.
Fazit
Dass das Buch dennoch nicht enttäuscht und zu fesseln vermag liegt an eben
jenen sprachlichen Möglichkeiten, die Frederic Beigbeder auszeichnen.
Oft ironisch, gegen den Kamm gebürstet, immer wieder den Finger in die Wunde
der Lebensweise und Lebenshaltung der Moderne legend, entsteht ein intensiver
Blick auf die Zeit und ihre Auswürfe.
Selbst Charles, trotz aller inneren Familienbande, die im Vordergrund beleuchtet
werden, steht ja letztlich auch für eine allgemein Lebenshaltung, gegen die
sich Beigbeder ebenso brüsk und entlarvend wendet, wie gegen der Bruder in
Person sich gegen ihn gewendet hat in Kindertagen. Tabubruch ist ihm immer noch
wie eine zweite Natur, obwohl sich dies mittlerweils des Öfteren eher indirekt
hinter der geschliffenen und eleganten Sprache verbirgt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 05. Oktober 2010 2010-10-05 20:08:19