Jean Latran vollzieht den letzten Schritt, indem er Annes Stimme auf der Mailbox
ihres Mobiltelefons löscht. Erst vor wenigen Tagen hatte Jean seine Frau
morgens tot in ihrem Atelier gefunden; Anne hatte sich das Leben genommen. Den
Tod seiner Frau begreifen kann Jean nicht. Er erinnert sich an den Moment, als
er Anne zum ersten Mal begegnete und sinnt über die Wohnung nach, in der schon
sein Vater geboren wurde und in der er später gemeinsam mit Anne lebte. Der
Schriftsteller und die Malerin - ein Paar wie füreinander geschaffen. Jean muss
sich nach dem Tod seiner Frau zu seiner Arbeit im Verlag zwingen, hat sogar
Angst nicht wieder arbeiten zu können. Immer noch gehen auf Annes Mobiltelefon
Anrufe ein, ohne dass die Anruferin ihren Namen nennt. Evá, Jeans tatkräftige
Sekretärin, verspricht Hilfe; sie lässt die Anruferin ermitteln. Jean fährt
mit der Metro zu der Pariser Adresse, die Evá herausgefunden hat - und steht
einer Frau gegenüber, die Annes Ebenbild ist. Jean hat nichts von einer
Schwester seiner Frau gewusst. Wie Annes blinde Zwillingsschwester Marie den
Witwer mit der symbiotischen Beziehung der Schwestern konfrontiert, schockiert.
Marie seziert jedes Detail der gemeinsamen Kindheit, weiht Jean in düstere
Geheimnisse ein, von denen er lieber nicht erfahren hätte. Anne sprach offenbar
nicht über ihre Kindheit - hatte ihr Mann je danach gefragt? Der Witwer findet
sich in einer merkwürdigen Situation zwischen zwei Frauen, die ihre Macht über
ihn auszukosten wissen. Hier die zutiefst verletzte überlebende
Zwillingsschwester Marie und dort Evá, die sich ihm verpflichtet fühlt, seit
er ihr die Anstellung im Verlag beschafft hat. Evás Tante Emma, der die Rolle
der ermunternden, nährenden Mutter zufällt, ist die Schwester von Evás
früh verstorbener Mutter. Jean wirkt wie ein verbindendes Element zwischen den
Schwesternpaaren aus zwei Generationen. Maries feine Wahrnehmung als Blinde
lässt sie Evá misstrauen. Sie hält Evá, den Eindringling, für gefährlich.
Aus zahlreichen Versatzstücken entsteht ein Bild der drei Frauen, von denen
Jean umgeben ist. Jean selbst bleibt bis zum Ende der Geschichte ein
unbeschriebenes Blatt, er erleidet die Ereignisse, bestimmt sie nicht.
Fazit
Der Psychoanalytiker Francois Gantheret enthüllt in "Die verborgene
Ordnung der Dinge" in raffinierter Manier ein Szenario der Gewalt und
gegenseitigen Abhängigkeiten innerhalb einer Familie, das sich in der passiven
Figur Jean Latrans überdeutlich spiegelt. Ein Buch, das Rätsel aufgibt und das
mancher mehr als einmal lesen wird, um den Figuren auf die Spur zu kommen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 26. Juli 2010 2010-07-26 09:36:57