Der alte MacGuinty hatte also mal beim Zirkus gearbeitet und dort Wasser für
die Elefanten geholt. Jakob Jankovsky war empört. Wie konnte MacGuinty es
wagen, sich hier im Altenheim mit dem ältesten Zirkus-Latein der Welt so in den
Mittelpunkt zu stellen! Zum Wasserholen für die Elefanten konnte man doch nur
einen absoluten Anfänger schicken, der in seinem Leben noch keinen Pferdeapfel
aus der Manege gefegt hatte. Jakob ist über 90, so genau kommt es auf die paar
Jahre in seinem Alter ja nicht mehr an. Nachdem Jakob sich die Hüfte gebrochen
hatte, braucht der alte Herr einen Gehwagen und lebt - auf Wunsch seiner Kinder,
wie er betont - im Altenheim. Ständig auf Hilfe angewiesen zu sein empfindet
Jakob als entwürdigende Situation. Man wurde hier wie ein kleines Kind
behandelt und bis auf das dämliche pürierte Essen gab es leider kaum etwas,
über das man sich mit den Pflegerinnen herumstreiten konnte.
Während in Sichtweite des Heims gerade ein Zirkus seine Zelte aufbaute,
erwarten die meisten Heimbewohner gespannt die erste Vorstellung. Alle erinnern
sich daran, wie der Zirkus ihrer Kindheit in ihre Stadt kam. In einer
Rückblende treffen wir den jungen Jakob, der in einer außergewöhnlichen
Situation Schluss mit seinem Leben als angehender Tierarzt macht und auf einen
Zug aufspringt. Dieser Zug transportiert Benzinis Show-Zirkus mit seinen
Tieren, Artisten, Arbeitern, den menschlichen Ausstellungstücken für die
Menagerie und der gesamten Ausstattung an den Ort der nächsten Vorstellung.
Jakob stellt sich dem Zirkusdirektor mit der mutigen Behauptung vor, er könne
"so ziemlich alles". Wie wichtig er selbst für das wirtschaftliche
Übeleben des Zirkus Benzini sein wird, kann Jakob zu diesem Zeitpunkt noch
nicht ahnen. Jakobs Alltag ist wenig glamourös. Wenn gerade kein Tier zu
verarzten ist, arbeitet der junge Mann für die fliegende Vorhut, die den Zirkus
aufbaut. Beim Abladen und Ausmisten, dem ewiges Einerlei aus schwerer
körperlicher Arbeit, muss Jakob sich die Anerkennung der Gadjos, des fahrenden
Volks der Zirkusarbeiter, erst erkämpfen. Jakob lässt dabei keine Situation
aus, die seinen Job beim Zirkus in Gefahr bringt, er verliebt sich in die
falsche Frau, widerspricht dem Direktor und stürzt sich schließlich Hals über
Kopf in eine neues Leben. Das neue Leben hat Jakob auch der Elefantendame Emily
zu verdanken. Auf leichtfertige Art gerät Benzinis an den Elefanten, ohne zu
wissen, wer ihn eigentlich in der Manege auftreten lassen soll. Ein Elefant, der
den ganzen Tag frisst und säuft, aber kein Elefantenkutscher, der etwas von
diesen sensiblen Tieren versteht - Jakob fragt sich, wie die Sache mit Emily
ausgehen soll; denn Elefanten vergessen nicht.
Jakob hat eine erfrischend respektlose Art von sich und anderen zu erzählen.
Wer den Satz prägte, dass Kinder und Alte die Wahrheit sagen, muss dabei
jemanden wie Jakob im Sinn gehabt haben. Der Kontrast zwischen dem nörgelnden
alten Erzähler und dem tatkräftigen jungen Mann, der Jakob einmal war, macht
den großen Reiz dieses Zirkus-Romans aus. Die beiden Handlungsstränge,
zwischen denen über 60 Jahre liegen, sind überaus spannend miteinander
verknüpft. Die Frage, wie der alte Jakob zu seiner Familie kam, mit der er nun
so unzufrieden ist, und der letzte Kampf des alten Mannes treiben den Leser
vorwärts. "Das Alter ist ein grausamer Dieb, das einen von den Beinen
holt.", stellt Jakob nüchtern fest. Überaus treffend und anteilnehmend
beschreibt Sarah Gruen die Last des Alterns, Jakobs Vergesslichkeit, die
mühevolle Art, in der er sich vorwärtsbewegt. Den wirtschaftliche Hintergrund
der damaligen Zeit hat die Autorin sorgfältig recherchiert.
Fazit
"Wasser für die Elefanten" bietet keine unkritische Zirkus-Romantik.
Wer die Schilderung ertragen kann, wie im Kampf gegen die drohende Pleite des
Zirkus Menschen und Tiere gequält und verheizt wurden, kann in Gruens Roman
die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts aus ungewöhnlicher Perspektive
verfolgen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 11. Juli 2010 2010-07-11 08:23:22