Populärwissenschaftliche Werke bergen immer die Gefahr in sich, dass sie
zugunsten der Unterhaltung des Lesers die Faktentreue vernachlässigen.
Umgekehrt sind Handbücher für den Laien, anders als für den Wissenschaftler,
selten eine interessante Lektüre, gerade wenn sie Vorwissen voraussetzen.
Selten hingegen sind die Werke, in denen sowohl wissenschaftliche Genauigkeit
und gute Lesbarkeit vereint sind. Das vorliegende Werk gehört eindeutig in
diese Kategorie.
Robin Lane Fox ist einer der bekanntesten britischen Althistoriker. In
Deutschland dürfte seine große (aber auch nicht unumstrittene)
Alexanderbiographie am bekanntesten sein. Doch verfasste er unter anderem auch
eine sehr lesenswerte Darstellung der paganen Kulte und dem parallel
verlaufenden Aufstieg des Christentums ("Pagans and Christians",
1986).
In dem vorliegenden Werk widmet er sich der klassischen griechisch-römischen
Welt. Es handelt sich dabei keineswegs um eine reine politische Geschichte,
vielmehr schildert Lane Fox auch kulturgeschichtliche und wirtschaftliche
Entwicklungen. "Klassisch" ist der Einstieg mit der Zeit Homers, d. h.
dem 8. Jh. v. Chr. Chronologisch wird die daran anschließende Epoche über das
Zeitalter der Perserkriege und dem Aufstieg und Fall Athens, die Zeit Philipps
II. und Alexanders des Großen, des Hellenismus, der Aufstieg Roms, die Epoche
der römischen Bürgerkriege und der Errichtung des römischen Kaisertums unter
Augustus geschildert. Die Kaiserzeit wird nicht bis zum Schluss (im Westen 476,
während das Ostreich endgültig erst 1453 unterging) dargestellt. Vielmehr ist
der Abschluss des Darstellungszeitraums von Lane Fox recht eigenwillig mit der
Zeit Hadrians gewählt, also der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr.
Lane Fox begründet dies damit, dass seiner Meinung nach dies der Abschluss der
klassischen Epoche im engeren Sinne (etwa kulturgeschichtlich) sei, wobei
Hadrian als "virtueller Reisegefährte" des Lesers dient. Zweifellos
ist dies durchaus anfechtbar, denn die klassischen Grundinhalte (wenn man so
will) wirkten freilich noch sehr viel länger nach. Und es ist zumindest
bedauerlich, dass Lane Fox damit die Chance vergeben hat, auch die Entwicklung
bis in die beginnende Spätantike zu skizzieren. Die Darstellung ist ansonsten
kaum kritikwürdig, im Gegenteil: Recht originell betrachtet Lane Fox die
Geschichte dieser Zeit unter den drei Leitgedanken Gerechtigkeit, Freiheit und
Luxus, wobei sich Lane Fox der Problematik dieser Termini bewusst ist. Dennoch
ist es spannend, wie der Autor daraus eine Melange erschaffen hat, die nicht nur
die Grundlinien der geschichtlichen Entwicklung deutlich werden lässt, sondern
gleichzeitig auch die kulturellen und sozialen Strömungen sehr gekonnt
einbezieht. Dabei geht es Lane Fox nie darum, ein reines Faktengerüst zu
vermitteln, sondern vor allem dem Leser die Kerninhalte dieser Zeit nahe zu
bringen. Und dies ist dem Autor in beeindruckender Weise gelungen. Gerade wenn
man sich die immer weiter voranschreitende Spezialisierung der
Geschichtswissenschaft vor Augen hält, ist es eine mehr als beachtliche
Leistung eines einzelnen Autors, diese Stoffmenge nicht nur zu verarbeiten,
sondern dies in einer sehr lesbaren Form zu vermitteln - und sogar noch
bisweilen wissenschaftliche Positionen deutlich zu machen.
Die deutsche Ausgabe (das englische Original erschien bereits 2005) ist gut
übersetzt und schön präsentiert, wofür man den Verlag Klett-Cotta noch
einmal ausdrücklich loben muss, da dies leider keine Selbstverständlichkeit
ist. Einzig ärgerlich ist, dass in der (gut kommentierten und daher gut
zugänglichen) Bibliographie doch bisweilen auffällige Lücken vorhanden sind.
So erscheint es wenigstens fraglich, etwa Kagans opus magnum zum
Peloponnesischen Krieg nicht zu nennen oder die Arbeiten Christian Meiers zum
politischen Denken im klassischen Athen. Aber das sind Randnotizen, die dem
Leser kaum auffallen dürften und mag dem Zwang der Auswahl geschuldet sein.
Fazit
"Die klassische Welt" von Lane Fox darf wohl zu Recht als ein großer
Wurf bezeichnet werden. Das Werk ist sowohl dem Laien als auch dem geneigten
Fachmann zur Lektüre nur zu empfehlen. Es ist eine anregende und sehr gut
lesbare Lektüre, die freilich in der Art der Deutung bisweilen angreifbar ist.
Dennoch bietet es die derzeit vielleicht beste Einführung in eine große und
bedeutende Epoche der Weltgeschichte, die auch für unsere heutige Zeit nicht
ohne Bedeutung ist. Dem Buch sind viele Leser und noch viele Auflagen zu
wünschen.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 05. Juli 2010 2010-07-05 13:02:10