Menschen kann man nicht besitzen
Was macht die gestandene, moderne Frau, die ihre berufliche Karriere bereits
gestemmt hat und hochbezahlt mit eigener Assistentin durch die Welt jettet,
wenn ihr Ehemann, 18 Jahre Älter, in vier Jahren Ehe sie (mindestens) dreimal
ausführlich mit anderen Frauen betrügt? Es liegt auf der Hand, Monogamie,
Offenheit, Ehrlichkeit, Treue, sind das nicht die Werte der Romantik, die sich
über hunderte von Jahren als felsenfest (und selbstverständlich ohne weitere
umsetzbar?) herausgestellt haben? Natürlich trennt sich die moderne Frau von
heute und lässt sich scheiden. Selbst im Hollywood der lockeren Sitten ist das
ja die Folge von zu viel Lebensgenuss.
Nicht, dass Lucy bereits darüber hinweg wäre. Auf den ersten Seiten erläutert
sie ihrer Assistentin und Vertrauten auf dem Weg durch den Flughafen
ausführlich, dass Liebe einfach wunderbar ist, sie selber leider nur ein Faible
für die Wahl des falschen Partners hatte. Sicher schickt ihr Mann Artie jeden
Tag Blumen mit kleinen Sprüchen seiner Liebe, Charme hat er ja, dass muss Lucy
ihm lassen, dennoch ist seine Verliebtheit in das Leben mitsamt seiner
Liebschaften, Liebeleien oder, wie er es auch auszudrücken pflegt,
Zwischenfällen nicht zu akzeptieren.
Doch alles wird anders, als sie erfährt, dass ihr Mann sterbenskrank ist. Lucy
kehrt zu ihm zurück und lässt ihn nicht alleine auf dem Weg vom Leben zum Tod.
Mehr noch, all seine Affären ruft sie an sein Sterbebett. Und dann wird alles
anders, als es vorher feste Überzeugung war.
Nicht nur, dass Lucy erkennt, das ihr Mann einen durchaus guten Geschmack
bewiesen hat, die anderen Frauen waren eine Verliebtheit tatsächlich wert.
Sondern das begleiten ihres Mannes und das kennen lernen seiner anderen
"Zwischenfälle" löst eine tiefe, reifende Entwicklung in ihr aus,
die Liebe und die Möglichkeiten der Liebe mit ganz anderen Augen zu
betrachten.
Eie Entwicklung fort von einem richtig-falsch oder schwarz-weiß Denken, fort
von idealistischen Dogmatiken der Liebe, die in ihrer ewig treuen und monogamen
Form immer schon eine rein ideale Vorstellung war und nie wirklich in der Breite
in dieser Form ungebrochen gelebt werden konnte. Eine Entwicklung, die Bridget
Asher mit ausgeprägtem Sprachstil und Wortschatz auch in den Zwischentönen und
den subtilen, schleichenden inneren Veränderungen jederzeit sensibel, mit
Humor, vor allem aber mit Tiefgang entfaltet.
Kein Freifahrtschein für notorische Fremdgeher ohne Verantwortungsgefühl wird
am Ende des Buches ausgestellt, aber auch ein unreflektiertes Beharren auf
lebenseinsperrenden Haltungen wird eine klare Absage erteilt.
Jede der auftretenden Figuren ist in ganz eigener Weise von Bridget Asher
gezeichnet und gewinnt so an Tiefe, die Entwicklungen in Lucy und um Artie und
seine Frauen herum entfaltet sich vielschichtig und jede Eindimensionalität
sprengend.
Fazit
Das Buch ist ein wunderbares Innehalten und Betrachten, was die Liebe zum Leben
und die Liebe unter Menschen wirklich ausmacht. Äußere Regeln und tradierte
Gebote sind es nun mal nicht, wohl aber die Begegnung von Menschen, die in
einzigartiger Form zueinander hingezogen werden, ohne anderen Beteiligten
Wesentliches weg zu nehmen. So gelingt es Bridget Asher in spielerischer, teils
humoriger, teils berührender Form, die herrschenden Normen und Ansprüche an
Paarbeziehungen deutlich differenzierter betrachten zu lernen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 15. Juni 2010 2010-06-15 21:04:59