Ein befreiender Weg
Die übliche Frage des beschäftigten und geschäftigen Westeuropäers
angesichts dessen, was Christian Jostmann an Weg hinter sich gebracht hat,
stellt der Juwelier im Epilog des Buches: "Wie habt ihr es bloß geschafft,
Euch von allem zu befreien"?
Eine völlig verständliche Frage angesichts der vielen Verpflichtungen des
Alltages und dennoch eine, in Bezug auf das Buch, nicht wirklich zutreffende
Frage.
Natürlich braucht es Planung und die Schaffung von Freiräumen um den ersten
Schritt des langen Weges zu gehen. Aber sich "zu befreien", das ist
nicht das Ergebnis vorhergehender Planung, sondern letztlich die Frucht des
Weges, zumindest dieses Weges.
Im August 2004 macht sich der Journalist und Historiker Christian Jostmann
daran, einen seiner Träume zu verwirklichen. Eine Pilgerreise zu Fuß nach Rom
mit München als Startort. Was es wird ist allerdings nicht nur eine einfache
Wanderung oder eine rein spirituelle Erfahrung von Innerlichkeit, sondern ein
lebendiger, bunter Bilderbogen einer Vielzahl von Erlebnissen, Beschreibungen
historischer Orte, geschichtlicher Entwicklungen und einer Vielzahl von teils
lustigen, teils bewegenden menschlichen Begegnungen und inneren Erlebnissen.
Einfach, direkt, aber bildhaft lebendig schreibt Christian Ostmann, angenehm
liberal, weltoffen in seinen Glaubensüberzeugungen und dennoch in diesem
katholischen Glauben verankert. Als "nicht fleißiger" Kirchgänger
wird auch diese Pilgerfahrt nicht zu einer übertriebenen amtskirchlichen Reise.
Doch die befreiende Kraft eines einfachen Gottesdienstes nach einer Nacht im
duftenden Heu in der "vom Morgenlicht durchfluteten" Franziskaner
Kirche zu Bozen ist wieder ein kleiner Stein auf dem inneren Weg befreienden
Erlebens. Ein inneres "zur Ruhe kommen", das die Sehnsucht des Lesers
nach ebensolchem Erleben des Wegfalls ständiger Anspannung wachruft. Wie das
ganze Buch es vermag, den Leser innerlich mit auf diese Reise zu nehmen.
Äußere Wegmarken des Pilgerns ist das kleine Heft, dass Christian Jostmann bei
sich führt und in das er jeden Tag von Ämtern der besuchten Orte einen Stempel
hinein setzten lässt. Äußere Wegmarken, die das innere Erleben begleiten,
jede Wegmarke ein Stück näher an das Ziel, Rom, heran, jede Wegmarke ein
Stück mehr an inneren Erfahrung und äußeren Erleben.
Einem äußeren Erleben, das nicht durchweg romantisch ist. Die Strapazen des
Weges klingen durchaus an, mit Ratten zu nächtigen ist sicher kein großes
Vergnügen gewesen, wohl aber eine Erweiterung persönlicher Erfahrungen.
Erfahrungen, die immer vom Humor begleitet sind, bei dem der ernste Hintergrund
allerdings spürbar mitschwingt. Am 40. Tag der Reise (exakt die Dauer von Jesu
Aufenthalt in der Wüste), sieht sich Christian Ostmann einer weiteren, harten
Prüfung ausgesetzt: Er geht zu dieser Zeit nicht allein, sondern begleitet von
seiner Lebensgefährtin Veronika.
Streit kennzeichnet das gemeinsame Gehen. Doch auch hier erleben wir,
mitfühlend an seiner Seite, das befreiende Erleben des klaren Wortes und das
innere Zueinanderfinden dann doch. Vielleicht braucht es manches Mal in vielen
Beziehungen Situationen ganz außerhalb des Alltages, um miteinander wirklich zu
sprechen?
In der Struktur des Buches folgt Christian Jostman Mystischer Zahlentradition.
In sechs Alter gliedert sich das menschliche Leben, sechs ist die Zahl der
Aktivität, in sechs Unterkapitel (Bücher) gliedert Jostmann sein Buch. Eine
überzeugende Verbindung seiner persönlichen Reise in den großen Zusammenhang
der Lebensreisen dieser Welt.
Ebenso in der Form anders ist der Satz des Buches. Nicht im Blocksatz, sondern
linksbündig ist das Buch gesetzt und folgt damit der inneren Form des fließend
erzählten Tagesbuches. So entsteht letztlich keine Reisebeschreibung im
geographischem Sinne, sondern dem Leser wird eine innere Begleitung auf dem Weg
möglich, die eigene Assoziationen und ein ganz eigenes Erleben mit dieser
"Lebensreise des Glaubens" freisetzt.
Herausgenommen aus dem alltäglichen Leben, um in das wirkliche, eigene, innere
Erleben einzutauchen, diese Lebensreise erlebt Christian Jostmann und durch
seine Art der direkten und klaren Beschreibung ist das Lesen des Buches ein
Miterleben dieser äußeren und, vor allem, inneren Reise.
Die Kraft, die der christliche Glaube auch in (kirchlich fast verfehmter)
liberaler, weltoffener und dennoch vertrauensvoller Form in sich trägt und die
Welteröffnung, die damit einhergeht sind spürbar im Raum
Fazit
In bester Form motiviert diese Wegbeschreibung, selber möglichst bald einen
ganz anderen Weg als den der ausgetretenen, alltäglichen Pfade unter die
eigenen Füße zu nehmen.
Letztlich ist es dies, was in den Zeilen mitschwingt und was der eigentliche
Gewinn einer solchen Unternehmung von 50 Tagen ist, sich selber näher zu kommen
in ganz anderen Umständen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 30. Mai 2010 2010-05-30 17:56:18