Mit dem vorliegenden Band "Heimat ist ein Paradies" legt Viktor Streck
einen zentralen Roman vor, der ein neues Zeitalter deutscher Jugendliteratur
markiert und die geschichtspolitische und identitätspolitische Tristesse des
deutschen Buchmarktes umkrempelt. Im Zentrum des Buches geht es um ethische
Grundhaltungen, die ernsthaft zu praktizieren sich ein junger Mensch - der
Hauptakteur - vornimmt. Er gibt damit ein Beispiel ab, wie allen
gesinnungsethisch dominierten Wertediskussionen der Gegenwart zum Trotz eine
wirklich zivilcouragierte Haltung aussehen kann. Damit treten die üblichen und
inflationär durchgekauten Fragen danach, wer "rechts" oder
"links" ist und wer "Zivilcourage" zeigt und wer nicht und
wer "gut" ist und gegen wessen Meinungen man mit Blumen demonstrieren
müsse, in den Hintergrund.
Um Begriffen wie Heimat, religiösem, christlichem Bewußtsein, Treue,
Standfestigkeit oder Nationalstolz Geltung zu verschaffen, wählt der Autor die
Perspektive des Außenstehenden. Der Protagonist ist Frank, der als junger
Rußlanddeutscher neu in die ihm örtlich unvertraute, kulturell aber bekannte
Heimat seiner Vorfahren zurückkehrt: Deutschland. Frank ist überaus begeistern
vom Philosophen Immanuel Kant. Er kann ihn auswendig zitieren und erregt damit
die Gemüter der in dieser Hinsicht mittelprächtig bewanderten deutschen
Jugendlichen an seiner Schule.
Freiheit bedeutet für Kant ein Durchbrechen des Gesetzes der Kausalität. Der
freie Wille ergibt sich aus eigenem Antrieb, d.h. er gibt sich selbst das Gesetz
seines Handelns. Er unterwirft sich keinem von außen auferlegten Gebot.
Freisein und ethische Selbstgesetzgebung - das sind Kants
Freiheitsvorstellungen. Das führt Kant zum Kategorischen Imperativ des
Sittengesetzes als dem unbedingten Ausdruck der Selbstgesetzgebung des freien
Willens. Das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft als dessen Bestandteil
verlangt von jedem Individuum, so zu handeln, daß die Maxime seines Willens
jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte. In Achtung
für dieses Gesetz handeln heißt aus Pflicht handeln. Freiheit und
Verbindlichkeit sind somit identisch gesetzt.
Dies sind die Maximen, nach denen Frank in seiner neuen Heimat handelt: frei,
verbindlich, ehrlich, pflichtbewußt und tiefgründig analysierend. Ihn
irritiert die Kulturvergessenheit seines neuen Lebensumfeldes, die Dekadenz und
Heuchelei seiner Umgebung. Das paßt für ihn nicht zu den großen deutschen
Denkern. Allen voran vermißt er auf dem Kant-Gymnasium den Geist des
Namensgebers. Im Gegenzug tritt ihm ein dezisionistisches Moralisieren seiner
Lehrerin Frau Bammert entgegen, die zufällig Vorsitzende des Arbeitskreises
"gegen rechts" ist. Frank weiß nicht, warum gerade er in ihr
analysierendes Blickfeld gelangt ist. Die in Deutschland übliche und in
derartigen Arbeitskreisen umgesetzte geheimdienstliche Überwachung von
Argumentationsmustern schockiert Frank, denn das Werteargument ist genau die
richtige Voraussetzung dafür, jemanden wie ihn in einer Demokratie verfolgen zu
können. Zur "freiheitlichen Ordnung" zählt für Franks Lehrerin die
Pflicht des staatlich erzwungenen Für-wahr-Haltens historischer Ereignisse,
etwa hinsichtlich der Schuldigen am 2. Weltkrieg, über den Frank mit Frau
Bammert mächtig in Streit gerät. Dieser "offenkundige"
Tatsachenschutz intendiert eine ideologisch diskriminierende Wirkung. Alles, was
den so genannten "Rechtsextremismus" fördert, sei also unwahre
"Tatsache", da der "Rechtsextremismus", wie ihn seine
Lehrerin bei Frank unterstellt, nicht wahr sein könne.
Zwei Welten prallen aufeinander. Obwohl die ethisch vorbildliche
Grundeinstellung des Jungen einem anständig denkenden und handelnden Menschen
in keiner Weise zu nahe tritt, stößt er bei den moralisierenden Heuchlern auf
Ablehnung und wird in Gutmenschenmanier zum Bösewicht gestempelt. Politisch
korrekte Gesinnungswächter rufen alle "Anständigen" zum Kampf gegen
den vaterlandsliebenden Jungen auf, der sich eigentlich nichts anderes
vorgenommen hat, als - so fordert es Kant - stets ehrlich seine Meinung zu
sagen.
Hochgebildet und sensibel findet der Gymnasiast kaum Anschluß, beeindruckt aber
die schönen Mädchen seiner Klasse. Er hat die Kant’sche Moralphilosophie,
vor allem den Imperativ der Wahrhaftigkeit, internalisiert. Und gerade das macht
ihn aber bei anderen Schülern und Lehrern - wohlgemerkt des Kant-Gymnasiums -
unbeliebt. Er polarisiert mit seinem Wissen zur Schuld des Zweiten Weltkrieges,
was das politisch korrekte Umfeld nicht hinzunehmen bereit ist. Mit Max tritt
ein weiterer Protagonist in die Handlung ein, der mit Frank sofort eine
intellektuelle Liebesbeziehung beginnt. Es könnte eine wunderbare Freundschaft
sein. Max aber fühlt sich ebenso wie Frank unverstanden, was am Ende
unweigerlich in die Katastrophe mündet. Der Roman erhält damit eine
dramatische literarische Spannung.
Fazit
Kurzum: Ein Roman, den man nur empfehlen kann - einer reifen Jugend der Zukunft,
einer müden Bürgerlichkeit, einem intellektuellem Konservativismus, der die
hysterischen Dogmen der Nachkriegszeit überwunden hat. Das Buch zeigt, was
wirkliche Zivilcourage ist, und dazu zählen Personen wie Frank und nicht die
mechanisch inszenierten Lichterketten der Gegenwart. Das Schwanken zwischen
Selbstverleugnung und nationalistischem Auftrumpfen endet erst mit einer
Haltung, die sich ernsthaft nach der eigenen nationalen Identität fragt. Dies
tut der Protagonist des vorliegenden Werkes. Das Buch von Streck bringt eine
neue Welle von Anregungen zur Betrachtung bundesdeutscher Realitäten mit sich
und bestätigt einmal mehr, daß in Wirklichkeit nicht das Moralisieren, sondern
das umfassende Denken sowohl spezifisch deutsche Stärke ist, als auch wirkliche
Freiheit bedeutet.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 21. März 2010 2010-03-21 15:16:06