Eric Ambler gilt als einer der führenden Vertreter des frühen Spionageromans
(eine glänzende Analyse seiner Werke findet sich in: Hans-Peter Schwarz:
Phantastische Wirklichkeit: Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers.
- München: DVA, 2006, Kapitel: Von Mitte der dreißiger bis Mitte der siebziger
Jahre: Eric Amblers Anti-Helden in den Terrorwelten des 20. Jahrhunderts, S.
61-91). Schwarz hat Ambler zu recht als "Kafka des Thrillers"
bezeichnet. "Sein großes Thema dieser ersten Schaffensphase ist die
Preisgegebenheit des einzelnen in einer undurchschaubaren Welt von
Geheimdiensten, Polizeiapparaten und weltumspannenden Konzernen, welche die
Strippen ziehen. Alle seine Helden sind...Anti-Helden..., die zuerst gar nicht
glauben wollen, daß brutale Killer hinter ihnen her sind, Anti-Helden, die
Angst haben und die davonzulaufen versuchen, bis sie letzten Endes der Zorn
packt, wobei sie dann doch schneller und brutaler sind als die heimtückischen
Gegner."
Amblers "Fall Deltschev" ist jedoch in erster Linie kein Agentenroman,
wohl aber ein Politthriller. Ambler rechnet hier mit den stalinistischen
Schauprozessen in den Kommunistischen Parteien der Balkanstaaten ab. Konkretes
Vorbild war der Schauprozess um Nikolaj Petkov, der als Führer einer
antikommunistischen Agrarpartei 1947 in einem Schauprozess zum Tode verurteilt
und hingerichtet wurde. Anklänge an Samjatins "Mo" und Orwells
"1984" sind beabsichtigt und nicht zufällig. Besonders offensichtlich
wird Amblers Faszination für den Balkan, den er - einschließlich seiner
Landschaften - packend beschreibt. Dies geschieht auch hier, ähnlich wie in
seinem bekanntesten Roman: "Die Maske des Dimitrios". Ambler bedient
sich des Kunstgriffes, einen britischen Journalisten, Foster, als
Berichterstatter zu dem Prozess reisen zu lassen. Dieser beginnt, die
Lebengeschichte Deltschevs zu recherchieren. Besonders packend ist der Verzicht
auf Schwarz-Weiß-Malerei. Der ehemalige Kommunist Ambler, der aufgrund des
Petkov-Prozesses sich - nach Desillusionen über den Hitler-Stalin-Pakt von 1939
- endgültig vom Stalinismus abwendete, rechnet nebenbei auch mit dem American
Way of Life ab, der für ihn keinesfalls nach dem Bruch mit dem Kommunismus zum
Non plus Ultra verklärt wird. So auch im vorliegenden Roman.
"Keine Seite ist im Recht, es gibt Verschwörungen, gebrochene
Lebensläufe, mord- und verratbereite Politiker, Fehleinschätzungen,
Terrorismus und Gemeinheiten. Der Balkan bleibt der Balkan, wie er ihn schon in
den Thrillern der dreißiger Jahre beschrieben hat. Die kommunistischen
Diktaturen sind nur ein weiteres Kapitel der unheilbaren Geschichte dieser
Region." (H.P. Schwarz, ebd., S. 83).
Fazit
ein sehr spannendes Buch und Wolfgang Steuhls Fazit aus der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, abgedruckt auf dem Buchrücken, kann ich nur teilen:
"Ihn [Ambler, B.N.] bloß einen Autor spannender Spionage- und
Kriminalgeschichten zu nennen, wird sich vielleicht einmal als kleinmütiges
"Understatement" erweisen. Von künftigen Generationen könnte Ambler
als einer der bedeutendsten Romanciers unserer Zeit verehrt werden."
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 21. Februar 2010 2010-02-21 12:05:10