Karitas verdient ihren Lebensunterhalt in einem kleinen isländischen Dorf als
Zeichenlehrerin und malt in ihrer Freizeit. Die Malerin hat einen
ungewöhnlichen Lebensweg hinter sich (
Die Eismalerin). Nach einer kurzen
Ehe, während der sie in drei Jahren vier Kinder zur Welt brachte, lebt sie nun
allein. Ihren Mann Sigmar hat Karitas seit über 10 Jahren nicht gesehen, eine
ihrer Töchter wurde von Karitas Schwester aufgezogen. Die allein lebende Frau
empfindet sich als Fremdkörper im Ort; denn die Erwartungen der Dorfbewohner,
wie sich eine Mutter mehrerer Kinder zu verhalten hätte, kann Karitas nicht
erfüllen. Ihre verhaltene Anerkennung drücken die Nachbarinnen damit aus, dass
sie Karitas einmal im Jahr beauftragen, die Kulissen für ein Theaterstück zu
malen. Auch in der Mitte ihres Lebens wird Karitas noch immer von Selbstzweifeln
geplagt; sie vermisst die Anerkennung ihrer Arbeit als Künstlerin durch ihre
erwachsenen Kinder.
Von ihrem Jugendfreund Despi lässt sich Karitas überreden, eine Weile in
Paris zu arbeiten. Kurz vor ihrer Abreise stellt Karitas Sohn ihr seine
2-jährige Tochter Silfá buchstäblich auf die Tür-Schwelle, bevor er selbst
wieder zur See fährt. Karitas will die Kleine auf keinen Fall Fremden
anvertrauen und dennoch ihre eigenen Pläne verwirklichen. Ihr bisheriges Leben
war von der klaren Ansage geprägt, dass nur Männer herumzigeunern während von
Frauen Verlässlichkeit erwartet wird. Obwohl Karitas als junge Frau kaum
mütterliche Gefühle für ihre eigenen Kinder entwickeln konnte, bleibt sie so
stark der Mutterrolle verhaftet, dass sie es nicht übers Herz bringt, ihre
Enkelin in Island zurückzulassen. Schon lange will Karitas sich nicht mehr um
andere kümmern müssen. Weil das kleine Mädchen nicht bei fremden Leuten
aufwachsen soll, nimmt sie die Kleine kurz entschlossen mit nach Paris. Als Frau
in fortgeschrittenen Alter, die ein Kleinkind zu versorgen hat, findet die
isländische Malerin sich nur sehr langsam in der fremden Umgebung zurecht.
Während man in Paris über die Forderungen Simone de Beauvoirs diskutiert,
fühlt sich Karitas von den auf sie einstürmenden neuen Endrücken und der
neuen Sprache überwältigt.
Rund 10 Jahre später ist die Malerin zurück in Reykjavik; aus ihren
Andeutungen lässt sich schließen, dass sie inzwischen in New York gelebt hat.
Während ihrer Abwesenheit kreisten Karitas Gedanken immer um Island, mitten in
Paris überwältigte sie die Sehnsucht nach dem isländischen Sommer. Immer
noch hadert Karitas mit der mangelnden Anerkennung ihrer Familie. Von ihrer
Mutter hat sie sich nie als Künstlerin anerkannt gefühlt - oder konnte die
unausgesprochene Anerkennung ihrer Mutter nicht wahrnehmen. Weil Karitas den
Verlust ihrer eigenen kleinen Tochter nie verwunden hat, wird die Erziehung der
Enkelin zum zentralen Projekt in ihrem Leben. Auf den Leser wirkt Karitas
beinahe alterslos und verblüffend vital. Sie selbst gibt kaum zu erkennen, dass
sie altert. Allein die Begegnung mit Sigmar, mit dem sie offiziell noch immer
verheiratet ist und mit der heranwachsenden Silfá, deuten an, dass Karitas
inzwischen hochbetagt auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann. Kaum zu
glauben, dass ihre Schwester Barghildur glaubt, Karitas noch immer wegen ihres
Lebensstils herunterputzen zu müssen und ihr das Recht abzusprechen für die
inzwischen schulpflichtige Silfá zu sorgen.
Karitas erzählt in der Ich-Form von entscheidenden Phasen ihrer Entwicklung
als Künstlerin, von Zyklen aus Fortgehen und Heimkehr nach Island. Sie
überspringt dabei ein ganzes Jahrzehnt ihres Lebens. Eine neutrale
Erzählerstimme unterbricht im Ton einer Künstlerbiografie die Handlung,
analysiert Karitas' Kunstwerke. Was der Künstlerin möglicherweise selbst nicht
bewusst war oder was sie lieber verdrängen würde, erfahren wir so aus der
Feder eines neutralen Biografen. Mit wachsender Neugier fragt man sich, wer
diese mit Karitas Bildern so vertraute Person sein mag.
Kristín Marja Baldursdóttir lässt uns mit ihrem zweiten Roman um die
isländische Malerin Karitas einem ungewöhnlichen Lebensweg voller Entehrungen
folgen. Bis in die Gegenwart steht Baldursdóttirs Heldin dabei ein Frauenbild
entgegen, dass bis dahin nur Männern eine Karriere als Künstler oder Musiker
zubilligte, während Frauen zusätzlich zur Kinderbetreuung nebenbei ein wenig
malen durften. Die Handlung spielt nach dem Zweiten Weltkrieg, während die USA
in Island einen Militärstützpunkt unterhielten, und deutet die damaligen
Umbrüche in der isländischen Gesellschaft an.