Ich habe einige Theorien der Internationalen Beziehungen gelesen und auch
bewertet. Ich muss sagen, dass diese Einführung in die "Theorien der
Internationalen Beziehungen" ein gutes Buch zu diesem Thema ist, neben
Gert Krells "Weltbilder
und Weltordnung" ist dieses Werk uneingeschränkt zu empfehlen, vor
Hartmanns: "Internationale Beziehungen".
Warum? Dieses Werk besticht durch seine leichte Lesbarkeit und dadurch, dass
wichtige Theorien ausführlich dargestellt werden. Der Autor teilt sein Buch in
4 Teile ein. In Teil 1 werden die grundlegenden Fragen der Theorien der
Internationalen Beziehungen (in Folge: IB) dargestellt. Dazu gehören Fragen
nach der Definition und dem Zweck von Theorien und Theoriebildung, Methoden der
Theoriebildung (Deduktive und Induktive Theoriebildung, empirische
Theoriebildung, normative Theoriebildung), Klassifikation von Theorien und
Theoriegeschichte. Der Autor teilt dann die bekannten Theorien in den IB in
sogenannte "Pessimistische, optimistische und Neutrale Ansätze ein.
Pessimistische Ansätze zeichnen sich nach Ansicht des Verfassers dadurch aus,
dass sie davon ausgehen, die anarchie des internationalen Staatensystems sei
nicht überwindbar und der Staat sei zuletzt auf Selbsthilfe angewiesen, wenn er
im Kampf zwischen den Staaten um internationale Macht überleben wolle. Zu
diesen Theorien rechnet der Autor die Gleichgewichtstheorie, den Klassischen und
den Neorealismus, die auch in den Werken Krells und Hartmanns ausführlich
behandelt werden (wobei sich Krell und Hartmann als Anhänger des Liberalismus
zu erkennen geben, während Xuewu Gu eine neutralere Position einnimmt). Er
zählt hierzu auch die Hierarchietheorie, die bei Krell und Hartmann nicht
behandelt werden (also Imperialismustheorie, Zentrum-Peripherie-Theorie,
Dependenztheorie).
In einem dritten Teil werden diejenigen Theorieansätze behandelt, die der
Verfasser als "optimistische Ansätze" bezeichnet. Optimistisch daher,
weil diese Ansätze grundsätzlich davon ausgehen, dass die Anarchie des
internationalen Staatensystems überwindbar seien und internationale Kooperation
den einzelnen Staaten mehr Sicherheit bringe als nationale Selbsthilfe. Hierzu
gehören nach Auffassung des Verfassers die Friedenstheorie sowie
Neoliberalismus, Neoinstitutionalismus (im Gegensatz zu Hartmann trennt er diese
beiden Theorieansätze und orientiert sich bei der Beschreibung des
Neoinstitutionalismusan den grundlegenden wichtigen Aufsatz von
Gunther Hellmann und
Reinhard Wolf: "Systematische
Theorien nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes" in: "Österreichische
Zeitschrift für Politikwissenschaft, 1993). Stärker als die Einführungen von
Krell und Hartmann, die dem Neoliberalismus zuneigen, werden jedoch die Annahmen
dieser Denkrichtung auf S. 70 ff. einer kritischen Überprüfung überzogen
(wobei sich ein Druckfehler eingeschlichen hat: es muss auf S. 70 heißen:
"Neoliberalismus unter Kreuzfeuer" statt: "Neorealismus unter
Kreuzfeuer").
Der vierte Teil fasst Aggressionstheorie, Systemtheorie, Entscheidungstheorie,
Spieltheorie als "Neutrale Ansätze" zusammen. Neutral deswegen, weil
sich diese Ansätze nach Ansicht des Autors in erster Linie nicht dafür
interessieren, ob die Überwindung der internationalen Anarchie wünschenswert
sei oder nicht, sondern dafür, wie sich ein Staat in einer bestimmten Situation
verhält und welche Faktoren dieses Verhalten verursachen. Diese Theorien
arbeiten nach dem Vorbild der Naturwissenschaften und streben nach Auffassung
des Verfassers Wertfreiheit und Neutralität an (ob dies überhaupt möglich
ist, ist eine andere Frage).
Kritik übe ich daran, dass die wichtige konstruktivistische Theorie, die bei
Krell und Hartmann behandelt wird in dieser Einführung nicht erwähnt wird -
ebenso sucht man sie und ihren "Begründer" Alexander Wendt im
Literaturverzeichnis sowie im Personen- und Sachregister vergeblich.