Erneut stellt die Autorin Rebecca Gablé, die sich nach ihren ersten Krimis nun
schon viele Jahre als Schriftstellerin von historischen Romanen einen Namen
gemacht hat, unter Beweis, wie gekonnt sie die historisch belegten Wahrheiten
mit einer fiktiven Handlung verbinden kann. Gleichzeitig mit dem Roman erschien
bei Lübbe Audio das inszenierte Hörbuch, welches als Grundlage dieser
Rezension zur Verfügung stand.
Die Handlung beginnt im England des Jahres 1147 auf einer kleinen Insel vor der
Küste Yorkshires. Hierher werden Menschen verbannt und verbracht, von denen man
an anderer Stelle nichts mehr sehen und hören will. Dazu gehören nicht nur
Krüppel und Aussätzige, sondern auch Mörder und Menschen, die so manchem
Machthaber im Wege stehen. Einer der Protagonisten ist Losian, der auf der Insel
so genannt wird, weil er nicht mehr weiß, wer er ist. Er sowie Edmund, der sich
für einen Märtyrerkönig hält, Regy, ein hinterhältiger Mörder, Godric und
Wulfric, siamesische Zwillinge, und schließlich Oswald, die wohl wegen ihrer
geistigen Zurückgebliebenheit liebenswerteste Person dieses Buches, nehmen den
jungen Simon de Clare, der wegen seiner Fallsucht (Epilepsie) verstoßen wurde,
in die Gemeinschaft der verfallenen Inselfestung auf. Ein mächtiges Unwetter,
welches über die Insel hinwegfegt, öffnet der verstoßenen Gemeinschaft
unverhofft einen Weg in die Freiheit, den die Männer nicht ungenutzt lassen. So
kehren sie in einer waghalsigen Flucht auf das Festland zurück und begeben sich
auf die Wanderschaft. Ein nahezu unendliches Abenteuer in einer sehr
kriegerischen Zeit Englands beginnt und Losian, der von allen als Anführer
akzeptiert wird, beschleicht das Gefühl, Schuld am Krieg um die Königskrone zu
sein. Doch auf der Suche nach Losians Herkunft, denn nur seine wahre Identität
kann ihm Aufklärung darüber geben, ob er tatsächlich schuldig ist, treffen
die Gesellen nicht nur auf feindselige Raufbolde und machthungrige Ritter,
sondern sie machen auch die Bekanntschaft eines Henry Plantagenet. Dieser Henry
ist kein Geringerer als der Sohn der Kaiserin Maud, die eigentlich anstelle des
Königs Stephen de Blois auf dem englischen Thron sitzen sollte.
Die fiktive Handlung um Losian und seiner Freunde wurde äußerst geschickt in
die Ereignisse um den Machtkampf zwischen dem späteren Heinrich II. und seinem
Widersacher Stephen de Blois gesponnen. Die Autorin schafft es auf diese Weise,
dem Leser bzw. Hörer die historischen Ereignisse in fast spielerischer Weise
nahe zu bringen, ohne dass dieser das Gefühl hat, ein Lehrer mit erhobenen
Zeigefinger würde vor ihm stehen. Anhand dieses Buches bzw. Hörbuches macht
das Eintauchen in die Geschichte Englands besonders viel Spaß. Die Beschreibung
winziger Details ist so vollkommen, dass man glauben könnte, die Autorin hätte
mit einer Kamera im mittelalterlichen England gestanden und alles festgehalten.
Selbst die Zweikämpfe und Schlachten, die genau wie die Liebe und Zweisamkeit
unweigerlich zu einem Abenteuerroman gehören, sind wegen ihrer unnachahmlichen
Darstellung fest im Gedächtnis eingebrannt. In Sachen Liebe wird nicht nur die
zwischen Mann und Frau zum Thema, sondern einnehmend ist immer wieder die
Fürsorge der Schicksalsgesellen untereinander, die wirklich aus tiefem Herzen
zu kommen scheint.
Da sich die Handlung über fast zehn Jahre hinzieht, ohne dabei auch nur ein
einziges Mal von ihrer Spannung einzubüßen, ist die personelle Ausstattung
erwartungsgemäß nicht gerade gering. Die auf dem Hörbuchcover enthaltene
Liste der historisch belegten Personen ist dabei sehr hilfreich. Bewusst wurde
dieses Mal bei der Gestaltung darauf geachtet, die fiktiven Personen nicht in
einer Liste zu benennen, um dem Leser/ Hörer die Unterscheidung zwischen realen
und fiktiven Personen zu erleichtern. Von besonderer Stärke aber erweist sich
die Darbietung des Hörbuches als inszenierte Lesung. Mit opulenten
mittelalterlichen Klängen wird in die einzelnen Kapitel und Abschnitte
eingeführt, die den mit sehr subtilen Stimmen agierenden Berliner Schauspieler
Detlef Bierstedt, auf besondere Weise unterstützen. Musikalisch werden
verschiedene Themen benutzt, so dass der Hörer anhand der Klänge auf die
Handlung hingewiesen wird: kraftvolles Orchester für Schlachtszenen oder Szenen
am Hofe, sanfte Melodien für Momente der Zweisamkeit. Aber nicht nur Musik,
sondern auch Geräusche lassen den Hörer in die Handlung eintauchen:
Pferdegewieher, Schlachtgetümmel, das Aufeinanderprallen der Schwerter, die
Schreie der Besiegten. Alles das, verbunden mit den höchst unterschiedlichen
Stimmen des Vorlesers, macht das fast 15stündige Hörbuch zu einem Hörgenuss.
Fazit
Die Inszenierung der Lesung bietet weitaus mehr als nur einen vorgelesenen Roman
und stellt aus meiner Sicht deshalb einen Vorteil gegenüber der gebundenen
Ausgabe dar. Alleine deshalb, aber nicht nur, ist dieses Hörbuch zu empfehlen.
Die Verbindung der historischen Ereignisse mit einer abenteuerlichen Handlung
stellt mindestens einen ebenso großen Grund dar. Selbst der
Geschichtsinteressierte, der sonst kaum etwas anderes als ein Fachbuch vor der
Nase hat, wird seinen Gewinn aus den spannenden Geschichten um Losian und seiner
Weggefährten ziehen.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 01. Januar 2010 2010-01-01 17:18:20