Ich habe jetzt - nach vielen positiven Rezensionen - John Grishams
"Schuld" gelesen. Ich muss sagen: mein Eindruck ist sehr zwiespältig.
Das Buch ist zweifellos spannend geschrieben. Es geht um die Verstrickung eines
jungen Anwalts, Clay Carter, in Schuld und Sühne. Carter, ein junger Mensch,
arbeitet schlecht bezahlt in der amerikanischen Hauptstadt Washington als
Pflichtverteidiger. Eines Tages soll er die Verteidigung eines jungen Schwarzen
übernehmen, der aus heiterem Himmel einen anderen Menschen auf offener Straße
getötet hat. Merkwürdig bleibt, dass der aus armen Verhältnissen stammende
und lange Zeit drogenabhängige Täter als eher schüchterner Charakter
geschildert wird, der Angst vor Gewalt hatte. Kurz darauf erfährt Clay, dass
offensichtlich ein dem Täter zum Drogenentzug verabreichtes Medikament, Tarvan,
zu unkontrollierter Mordlust führte. Clay Carter geht dieser Informaton, die
ihn von einem Mann namens Max Pace vermittelt wird, nach. Mit einem weiteren
Anwalt, einem Spezialist für Sammelklagen, kann er dem das Medikament
herstellenden Konzern einen Vergleich abringen, der ihm und seiner neu
gegründeten Kanzlei rund 106 Millionen Dollar einbringt. Doch bald stellt sich
heraus, dass der Informant, der Carter mit dieser Information versorgt hat,
selber ein lang gesuchter Wirtschaftsverbrecher ist. Mit einem neuen Geschäft
treibt er Carter und seine Firma in den Ruin. Doch die Carter sehr dankbaren
Mitarbeiter, in besseren Zeiten von ihm großzügig versorgt und mit Anteilen an
den verdienten Prozessen versehen, lassen ihren früheren Chef nicht hängen. Zu
guter Letzt kehrt auch seine frühere Freundin, die ihn auf Druck ihrer Eltern
verlassen und einen anderen wohlhabenden Mann der Upper Class geheiratet hatte,
zu ihm zurück.
An dieser - zugegebermaßen kurzen - Zusammenfassung, die die zahlreichen
Handlungsstränge nicht wiedergeben kann, wird die Problematik deutlich.
Als Thrillerautor überzeugt Grisham eindeutig. Er schafft es, auf rund 450
Seiten den Aufstieg und Fall Clay Carters, der trotz seiner charakterlichen
Schwächen sympathisch dargestellt wird, spannend darzustellen. Dass die
Charaktere nicht ausgiebig beschrieben werden, sondern - mit Ausnahme des
Protagonisten - relativ blass bleiben, mag man Grisham verzeihen. Die Spannung
bleibt bis zum - für mich sehr vorhersehbaren - Ende bestehen. Grisham ist kein
Stilist; sein Stil wirkt eher hölzern, seine Charaktere sind nicht ausgereift
und undifferenziert - mit Ausnahme Carters.
Positiv ist auch, dass Grisham, selber Anwalt, einen faszinierenden Blick in
seine Berufssparte und den Hintergrund der Sammelklagen vermittelt. Wie in
früheren Romanen erscheint die Mehrheit der Anwälte als geldgierige und
skupellose Vertreter einer Zunft, denen das Wohl ihrer Mandanten völlig egal
ist und die einzig allein an ihren Honoraren interessiert sind. Ausnahme ist
dann am Ende lediglich die Anwältin, die die geprellten Mandanten gegen Clay
und seine Kollegen vertritt - und letztlich recht bekommt.
Wenn man sich allerdings den Plot genauer ansieht, so wirkt er schnell
dahingeworfen. Die Moral von der Geschichte, dass Skrupellosigkeit schlecht
endet, erscheint mir zu dick aufgetragen. In Wirklichkeit scheint es mir eher so
zu sein, dass das von Grisham gewählte Ende idealistisches Wunschdenken
verrät; in Wirklichkeit dürften die skrupellosen Anwälte mit ihren
ausgeklügelten Strategien, die Grisham schildert, größere Chancen haben, zu
gewinnen als die Idealisten, denen es wirklich um ihre Klienten geht.
Unwahrscheinlich ist auch, dass Clay Carter vor seiner wichtigen Entscheidung,
eine eigene Kanzlei zu gründen und aus dem Staatsdienst auszusteigen, keine
näheren Informationen über den geheimnisvollen Informanten Pace einholt,
dessen Machenschaften ihn schließlich ins Verderben führen.
Fazit
Insofern ein zwiespältiges Fazit: durchaus spannend, aber zum Teil durchaus
einfach gestrickt und vorhersehbar. Die Bewertung hängt also sehr von der
Sichtweise des Lesers und seiner Prioritätensetzung ab. Kein überragendes
Buch, sondern Durchschnitt. Allerdings garantiert der Thriller spannende
Unterhaltung.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 17. Juni 2003 2003-06-17 21:27:30