Hans-Dientrich Sander war ein besonderer Denker und Philosoph der deutschen
Nachkriegszeit. Für ihn war die Bundesrepublik Deutschland nicht die
Fortsetzung der politischen Einheiten in der Deutschen Geschichte, sondern sie
ist für ihn bis heute eine Ausgeburt der Stunde Null, gezeugt von fremden
Mächten. So kündigte sich für Sander das "Germaniam esse delendam"
schon in den letzten Kriegsjahren an. Die Zerstörung deutscher Städte mit
Flächenbombardements und die gewaltsame Vertreibung von Millionen aus den
östlichen Gebieten waren in der Tat absolute Schrecken.
Das schriftstellerische Wirken Sanders war stets mutig von diesen Themen
bestimmt, von denen her er ein Bild der Bundesrepublik zeichnete, wie es andere
niemals sich zutrauten, was natürlich nicht an der Wahrheit hinter Sanders
Ansatz zu rütteln vermag. Als nur einen Beweis von vielen betonte er couragiert
die Absprache zwischen Roosevelt und Churchill 1943 in Quebec, nach der es
keinen Friedensvertrag mit Deutschland geben sollte, sondern nur ein Abkommen
der Sieger über die aufzuteilenden Reste. Stalin schloß sich an, obwohl er
spätestens 1944 in Jalta merken mußte, daß der amerikanische
Wirtschaftsimperialismus auch schon die Sowjetunion ins Visier nahm. Bringt man
Sanders Forschung auf den Punkt: Mit der Niederwerfung des Deutschen Reiches
erloschen de facto das Völkerrecht und die Hegung des Krieges, welche das Ius
Publicum Europaeum, einzigartig in der Weltgeschichte, hervorgebracht hatte.
Damit ist Sander ein besonderer Vertreter wissenschaftlicher Redlichkeit und
geistiger Zivilcourage, was man ihm freilich niemals zugestand.
Anders dagegen das vorliegende Buch! Es gesteht ihm diese Rolle zu.
Sander, einer der profiliertesten nationalen Publizisten, ist 2008 80 Jahre alt
geworden. Das vorliegende Werk ist eine Festgabe seiner Gefährten und Kollegen.
Dazu gehören Beiträge u.a. von: Björn Clemens, Thor von Waldstein, Elke
Sander, Günter Maschke, Bernd Rabehl, Wolfgang Strauß, Günter Zehm, Peter
Furth, Hans-Ulrich Kopp, Martin Lichtmesz, Franz Uhle-Wettler oder Ivan Denes.
Gemäß den Schriften Sanders selbst verheißt diese Festschrift ein
funkensprühendes thematisches Feuerwerk spannender Themen, das dem Jubilar
dadurch gerecht wird, daß die enthaltenen Texte genau wie Sander die
nachkriegsdemokratischen Mißstände klar benennen.
So wird wie bei Sander selbst darauf verwiesen, daß die Ubiquität der Technik,
die nivellierenden Folgen der Industrialisierung und der entproblematisierende
Anspruch der Rationalisierung die geschichtsbildenden Staaten, Reiche und
Imperien zerstört haben. Das Besondere droht vom Allgemeinen more geometrico
verschlungen zu werden. Es verfällt die transzendentale Apperzeptionskraft -
Eigenschaft einer jeden korrumpierten Wissenschaft, die heute unkritisch immer
noch davon ausgeht, Deutschland sei 1945 wirklich nur "befreit"
worden, und dies ohne Hintergrundinteressen der Sieger von 1945. Andere
Beiträge konzentrieren sich weiterhin darauf, wie ein Volksgeist sich nur im
eigenen Raum, unter eigenen Bedingungen, durch eigene überlieferte
Institutionen, durch sein Milieu im umfassenden Sinne reproduziert und damit die
klassische Metapher des genius loci gilt: Nach dem Verfassungsrechtler Hermann
Heller ein organischer naturhafter Kern jenseits zweckbewußter
Interessenverbindung.
Ein besonderer Beitrag (128ff.) befasst sich in diesem Zusammenhang mit der
griechischen Mythologie. Sie fand für diese elementare Konkordanz von Sein und
Ort das sagenhafte Gleichnis von Antäos, dem Sohn des Meergotts Poseidon und
der Erdgöttin Gäa. Antäos war unbesiegbar, solange er noch die erde
berührte. Er war verloren, wenn er in der Luft hing. Er gewann seine Kraft
wieder, wenn er seine Füße auf die erde zurücksetzen konnte. Das
Gegengleichnis erfand die Judaistik. Die Verfallsprozesse lassen sich für
Sander antäisch erklären. Sie gehen auf eine Störung des Raumgefühls
zurück, die den Impetus der Erkenntnis und Selbsterkenntnis - einst Grundlage
einer jeden deutschen Philosophie zur Grundlegung des Individuums überhaupt -
zerstreut und die Energien der Selbstbehauptung zerreibt. Ergänzend ließe sich
im Sinne Sanders sagen, daß auch eine Generation vor Max Weber schon der
Geograph Friedrich Ratzel die Rolle des Lebensraumes für den Menschen mit dem
Antäos-Motiv verknüpfte: Die Natur fordert für Ratzel von jedem Volk, das als
Volk gedeihen soll, ein Wohnen auf zusammenhängendem Boden, auf dem es ruht, in
dem seine Wurzeln sich zu Tausenden verflechten. Nur den zusammenhängend und
geschlossen verbreiteten Völkern komme jene Kraft des Antäos zu, die aus dem
festen Verhältnis zur eigenen Scholle entsteht.
Um zum eingangs beschriebenen Triumph der Sieger zurückzukehren, so war dieser
für Sander ein Triumph der alten Mächte des Liberalismus und des Sozialismus
über Deutschland. Er habe keines der wesentlichen Probleme gelöst, sondern
jedes verschärft. So lag für Sander im Deutschen Gedankengut das Potential des
Liberalismus und des Sozialismus zur Bewältigung der Aporien der Moderne
bereit. Im Gegenzug - so beschreiben es weitere Essays dieser Festschrift - habe
sich nach dem Krieg der ideologische Staatsschutz als
"Verfassungsschutz" konstituiert, um alternatives Denken jenseits den
Prämissen der "verordneten Demokratie" (Theo Pirker) von Beginn an zu
ersticken. Durch die Abkehr vom rechtsstaatlichen Legalitätsprinzip - geahndet
werden nicht rechtswidrige Handlungen, sondern das nachhaltige Verkünden
illegitimer Überzeugungen - setze sich sogar das Bundesverfassungsgericht in
Widerspruch zu den das Prinzip der Chancengleichheit aller politischen Parteien
tragenden Verfassungselementen. Das Verfassungsprinzip der freien Bildung
politischer Opposition, das den Hauptunterschied zwischen freier und
totalitärer Verwirklichungsform von Demokratie markiert, ist für Sander immer
noch nicht garantiert. Oder anders im Sinne Carl Schmitts: Legalität und
Legitimität werden taktische Instrumente, deren sich der Parteienstaat
"freiheitlich" bedient, um neue Parteien zu diskreditieren oder dem
Verbotsverfahren preiszugeben.
Sander, dem das vorliegende Buch gewidmet ist, ist dem vom alten
BRD-Nachkriegsballast wirklich befreiten und jungen Leser der Zukunft gerade
durch dieses Werk um viele Schritte näher gebracht worden. Er erscheint vor dem
Leser als ein schreibender Mensch, dem die bedeutendsten Erscheinungen in der
Welt nicht irgendwelche Welteroberer wie Deutschlands Feinde waren, sondern dem
der transzendentale Weltüberwinder und der denkende und freie Lebensmeisterer
am philosophischen Herzen lag und liegt. Und genau jene absolut freie
Grundhaltung des Meisterns des Lebens hatten die Deutschen philosophisch
erkannt. Sie haben den Schleier der Maya durchschaut, haben ihn im Sinne von
Novalis gehoben und erkannt, daß man dahinter - transzendierend - nur sich
selbst sieht. Kurz: Freiheit des Geistes, des Denkens oder überhaupt das freie
Leben ist kein Postulat des Politischen, d.h. des Staates, sondern eine Frage
der subjektiven Einstellung, des Individuums selbst, eine Frage der inneren
Freiheit. Diese ließ sich Sander niemals nehmen und so wird er als Kämpfer
gegen das Verwaltetwerden, die Eindimensionalität, den Konsumismus und gegen
das Zurückschrumpfen des Geistes mit seinem konsequenten "Nein"
unvergessen bleiben.
Fazit
Dazu ist das Buch ein unermesslicher Beitrag!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 17. November 2009 2009-11-17 16:24:23