Harald Müller, Professor an der Hessischen Stiftung für Friedens- und
Konfliktforschung, hat hier einen imposanten Beitrag über die Welt nach dem 11.
September vorgelegt. Müller gehört der "liberalistischen" Schule in
den Internationalen Beziehungen an und argumentiert in der Tradition seines
Lehrers
Czempiel, dessen
Politikverständnis und -ansätze er teilt und dem er sich verpflichtet fühlt.
Müller hat schon früher, etwa auf den Seiten der HSFK oder etwa in den von
dieser Organisation jährlich herausgegebenen "Friedensgutachten" die
Politik der USA kritisch beleuchtet. Hervorragend ist die kompetente und lesbare
Darstellung sowie die Auswertung der Quellen. Müller hat in der Tat die
wichtigsten Aufsätze aus den entscheidenden amerikanischen Fachzeitschriften
gelesen und verwertet und weiß daher, wovon er spricht. Konservativen wie eher
linksorientierten Autoren räumt er viel Platz ein. Wie wichtig und grundlegend
dieses Buch ist, wird daran deutlich, dass die Bundeszentrale für politische
Bildung den vorliegenden Band unter dem Titel "Supermacht in der Sackgasse:
Die Weltordnung nach dem 11. September?" ebenfalls herausgegeben hat.
Was mich an dem vorliegenden Buch trotz allem stört, ist seine Einseitigkeit.
Im Gegensatz zu der Analyse von
Emmanuel Todd: "Weltmacht
USA" sieht Müller die USA nicht im Niedergang und diagnostiziert Amerika
ausdrücklich "wirtschaftliche Stärke" (S. 37). Das Konzept des
Mulipolarismus, welches Rußlands früherer Außenminister Primakow prägte, sei
ein Konzept der Nationalstaaten und damit der Vergangenheit. Trotzdem sei die
amerikanische Tendenz zum Unilateralismus zu verurteilen: "Die erhoffte
strategische Klugheit (in Anlehnung an Czempiels Werk "Kluge Macht")
hat einer strammen Machtpolitik Platz gemacht, das Steuern über Völkerrecht
und Regime im Großen und ganzen der einseitigen Durchsetzung von Amerikas
Willen."
Diese Feststelung des Schlusswortes ist korrekt. Aber: mir fehlt bei Müller
Verständnis für die amerikanische Reaktion nach dem 11. September. Man muss -
dies möchte ich betonen - die amerikanische Politik nicht teilen und kann
insbesondere die Administration von George W. Bush junior für ihre Handlungen
verurteilen - wie ich dies auch tue oder etwa Carter. Aber man sollte auch
erkennen, was der 11. September 2001 für die amerikanische Politik bedeutet hat
(vgl. hierzu etwa Peter Rudolf: Wie der 11. September die amerikanische
Außenpolitik verändert hat" in "
Brandherd Irak". Hier auch die
Thesen Müllers in Kurzform: Harald Müller, "Defensive Präemption und
Raketenabwehr: Unilateralismus als Weltordnungspolitik", eine Kurzform der
Thesen dieses Bandes). Sie bedeutete einen Verlust an Sicherheit. Aus diesem
Sicherheitsdilemma sind amerikanische Reaktionen zu erklären, wie sie sehr
deutlich auch
Robert Kagan
in seinem Buch "Macht und Ohnmacht: Amerika und Europa in der neuen
Weltordnung" beispielhaft darstellt. Man kann die neue unilateralistische
und neoimperialistische Politik Bushs selbstverständlich, wie Müller dies tut,
als "hegemoniale Revolution" kennzeichnen und, wie er es auch in
seinem Aufsatz "Anforderungen an die Weltordnung im 21. Jahrhundert"
im "Friedensgutachten 2003" getan hat, als "strukturell
verankerte ideologische Formation auf dem extremen rechten flügel des
amerikanischen außen- und sicherheitspolitischen Denkens" aus der Schule
von neokonservativen Denkschulen wie der Heritage Foundation oder des American
Enterprise Institutes abtun. Doch warum bekam diese Außenpolitik nach dem 11.
September "Oberwasser?" Liegt es tatsächlich lediglich am
außenpolitischen Desinteresse der Amerikaner oder daran, dass sich die
amerikanische Bevölkerung in Krisenzeiten eben hinter den Präsidenten stellt?
Was der 11. September für die USA bedeutete, ein Verlust an Sicherheit und
permanente Angst, dies kommt in Müllers Darstellung meines Erachtens zu kurz.
Bei allem legitimen Interessen an "Pendelumschwüngen" in den USA oder
einer "amerikanischen Zivilgesellschaft" ist auch klar: wenn Europa
für die amerikanische Politik nicht mehr Verständnis entwickelt - bei aller
notwendigen Kritik, so wird die transatlantische Kluft stärker. Eine
wissenschaftliche Publikation wie die Müllers sollte auch ein Mindestmaß an
Verständnis für die Position des Andersdenkenden - auch wenn man diese Meinung
nicht teilt - mitbringen. Dies tut er nicht. Er geht keineswegs auf die
amerikanischen Ängste ein. So verlangen die Amerikaner aufgrund der Tatsache,
dass der Verteidigungshaushalt der USA so hoch ist wie jener der nächsten 13
Staaten mit den größten Militärausgaben zusammengenommen stärkere Ausgaben
der Europäer auf diesem Gebiet, um militärisch gleichberechtigt
mitzubestimmen. Die Weigerung der Europäer, dies zu tun, führt zu
transatlantischen Verstimmungen - aus amerikanischer Sicht sicherlich
verständlich. Ich möchte nicht missverstanden werden: auch die europäische
Sicht der Dinge ist nachvollziehbar und verständlich, die neo-imperiale Politik
Bushs löst hier berechtigte Ängste aus, die Müller auch gut darstellt (sein
Kapitel "Der Rest der Welt: Russland, China, Indien, Südostasien, der
Mittlere Osten, der Rest der Welt" gehört zu den besten im Buch). Etwas
mehr Verständnis für die amerikanische Politik hätte dem Anliegen des Buches,
die Weltordnung nach dem 11. September zu erklären, jedoch gut getan.