Tingyi ist mit Robert nach Kanton gekommen, um ihren langjährigen deutschen
Lebensgefährten ihrer Familie vorzustellen. Wenn Tingyis Eltern versuchen, das
Wort Robert auszusprechen, klingt es wie Luobutou, das chinesische Wort für
Rettichkopf. Mutter Li Hong ist ständig besorgt, dass die Kinder nicht genug
essen könnten; Vater Sui Kang findet, dass es für seine Tochter mit 32 Jahren
nun Zeit sei, endlich schwanger zu werden. Die noch nicht eingetretene
Schwangerschaft wird den gesamten China-Besuch des Paares überschatten. Vom
peinlichen Verhör der Noch-Nicht-Großeltern bis zur ungefragten Empfehlung
chinesischer Kräuterrezepturen zieht Sui Kang alle Register eines besorgten
Vaters. Wie gut, dass Robert den Gesprächen über die Vielzahl geplanter
abergläubischer Rituale nicht folgen kann. Roberts Besuch, das chinesische
Neujahrsfest im Februar des Jahres und der Geburtstag des Vaters Sui Kang bieten
die willkommene Gelegenheit, eine Reihe rauschender Familienfeiern zu begehen.
Nur von kurzen Sightseeing-Touren unterbrochen wälzt sich Tingyis Familie von
einem Bankett zum Nächsten.
Es wird höchste Zeit, dass Robert während der Feierlichkeiten in die
Verpflichtung chinesischer Kinder gegenüber ihren Eltern und die Rituale von
Geldgeschenken eingeweiht wird. Der chinesische Familiensinn, der von Robert
erwartet wird, bleibt ihm jedoch trotz aller Bemühungen Tingyis ein Buch mit
sieben Siegeln. Tingyis Kinderwunsch und die von ihr erwartete Dankbarkeit ihren
Eltern gegenüber überlagern sich in konfliktträchtiger Weise. Kein Wunder,
dass hohe Erwartungen und die erzwungene Nähe schließlich in einen grotesken
Familienstreit münden. Robert, der mit mittlerweile 35 Jahren eigene
Vorstellungen von Familie vertreten können sollte, wagt nicht, zum Thema Kind
seine Meinung vorzubringen und heiratet schließlich Tingyi samt Familien-Clan
und dessen abergläubischen Vorstellungen zum Thema Kinderkriegen.
Luo Lingyuan lässt ihre Hauptfigur Tingyi, die in Deutschland längst eine
selbstbewusste, erfolgreiche Fotografin ist, in ihrer Heimatstadt wieder in die
Rolle der gehorsamen Tochter zurückfallen. Eigene Vorstellungen von ihrer
Zukunft als werdenden Eltern scheint das Paar nicht zu entwickeln. Liebe,
Verliebtheit, eine Beziehung als langfristige Investition und der von den Eltern
vehement vertretene Wunsch nach einem weiteren Enkelkind verschwimmen.
Interessant fand ich die Veränderung, die mit Tingyi jedes Mal stattfindet,
wenn sie als Managerin ihres Mannes auftritt, der an der Universität Kanton
einen Vortrag halten soll. In diesen Momenten wird ein für deutsche Leser
ungewohntes Verständnis chinesischer Frauen von einer Ehe als gemeinsames
Projekt deutlich, an dem Robert vermutlich zukünftig noch zu knacken haben
wird.
Fazit
Roberts Antrittsbesuch bei seinen zukünftigen Schwiegereltern in China (der
Roman spielt kurz vor Beginn der Olympischen Spiele 2008) vermittelt die
unterschiedlichsten Facetten einer deutsch-chinesischen Partnerschaft. Obwohl
die Verknüpfung der teils aufregenden Erlebnisse des jungen Paare nicht immer
überzeugen kann, gibt die chinesische Autorin deutschen Lesern mit ihrem Roman
auf humorvolle Art Einblick in die chinesische Mentalität.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 01. Oktober 2009 2009-10-01 10:45:26