"Der Mann ist nichts für dich, er wird hier in Kanada niemals Fuß
fassen", hatte Annes Vater nüchtern bemerkt, als sie sich in den jungen
Kambodschaner Seray verliebte. Seray lebt als Flüchtling in Kanada. Sein Vater
hatte 1975 während der Diktatur der Roten Khmer telegraphiert: Komm nicht
zurück, ehe ich es dir schreibe. Doch sowie die Grenzen wieder offen sind,
fliegt Seray zurück nach Kambodscha. Anne nimmt derweil Unterricht in Serays
Muttersprache Khmer, entschlossen, dem Mann, den sie liebt, so bald wie möglich
nach Südost-Asien zu folgen. Sie ahnt, dass ihr Lehrer ihr Dinge beibringt, die
es in Kambodscha längst nicht mehr gibt. Nach mehr als 10 Jahren ohne Nachricht
von Seray gelingt es Anne, ihren Geliebten in Kambodscha aufzuspüren. Sie hat
einen traumatisierten Menschen vor sich, dessen Land wie eine zerbrochene
Schiefertafel in Trümmern liegt. Die kambodschanische Kultur ist zerstört. Die
Erinnerungen der Menschen kreisen um unaussprechliche Gräueltaten, der Anblick
von Gebeinen und Massengräbern ist alltäglich. Der einzige aus einer
Großfamilie zu sein, der die Rote-Khmer-Dikatur überlebt hat, scheint in
Kambodscha inzwischen normal zu sein. Seray verlässt das Haus regelmäßig,
ohne Anne je darüber zu erzählen, welcher Tätigkeit er nachgeht. Schließlich
verschwindet Seray ganz. Will, der einzige Ausländer, der außer Anne in
Kambodscha lebt, versucht, sie zur Abreise zu überreden. Doch Anne ist
entschlossen, den verschwundenen Seray aufzuspüren. Erst in den letzten Sätzen
des Buches wird deutlich, welch lange Zeit seit den Ereignissen in Kambodscha
für Anne inzwischen vergangen ist.
Fazit
Ganz im Gegensatz zum in warmen Farben gehaltenen Buchcover ist "Der
verschollene Liebhaber" der aufwühlende Bericht über ein Land, in dem die
Toten noch nicht zur Ruhe gekommen sind. Indem sie Anne ihren Geliebten im Text
direkt ansprechen lässt, schafft die Autorin eine melancholische, verzweifelte
Stimmung, die in die nüchterne Darstellung der Herrschaft der Roten Khmer
übergeht. Annes bittere Erinnerungen an die Zeit zwischen 1975 und 1989 können
stellvertretend stehen für jedes Land, in dem die Überlebenden eines Krieges
zunächst ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiten müssen, ehe sie ihr Land
wieder aufbauen können.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 22. September 2009 2009-09-22 09:53:18