Alles, was du kannst, wird gegen dich verwendet. Die zwölfjährige Paloma hat
schon als kleines Mädchen bemerkt, dass es klug ist, sich in der Schule und zu
Hause dümmer zu stellen, als sie ist. Palomas Vater ist ein ehemaliger
Politiker, der mit seiner Familie auf mehreren hundert Quadratmetern Wohnraum in
Paris residiert. Palomas Mutter beschäftigt sich tagaus tagein mit ihrer
eigenen Psyche und ahnt nicht, wie viel unnütz verplemperte
Therapeuten-Honorare sie sparen könnte, wenn sie sich statt mit ihrem
Analytiker mit ihrer cleveren Tochter unterhalten würde. Am Esstisch der
Familie lernt Paloma, dass es in ihren Kreisen nicht darauf ankommt, informiert
zu sein, sondern wichtigen Gästen nicht zu widersprechen.
Palomas älteres und etwas dickeres Gegenstück finden wir in der
Hausmeisterloge - auch Renée, die Concierge, hat schon als Schülerin
beschlossen, ihre Kompetenzen und ihr Wissen besser für sich zu behalten. In
ihrer freien Zeit berauscht Renée sich in ihrem unscheinbaren Refugium an
kompliziertesten philosophischen Texten. Ihre einzige Freundin ist die
Portugiesin Manuela, die zu Renées Kummer bald nach Portugal zurückziehen
möchte. In Gedanken spielt Renée mit Klischees wie eine Concierge zu sein hat
und verachtet insgeheim die Leute, denen sie dient. Bei einer zufälligen
Begegnung entdeckt Paloma die Hausmeisterloge als Refugium für sich, in dem sie
unbeobachtet ihre tiefgründigen Gedanken denken kann.
In dem Haus mit seinen acht Luxuswohnungen hatte sich seit Jahrzehnten nichts
mehr verändert. Nun war ein Bewohner verstorben und als neuer Nachbar stellt
sich Herr Ozu vor. Paloma trifft Herrn Ozu im Aufzug. Als Manga-Leserin fühlt
sie sich als Expertin für alles Japanische und darf prompt Herrn Ozu mit
Kakuro-san, seinem Vornamen anreden. Der neue Wohnungsbesitzer bringt in kurzer
Zeit das soziale Gefüge zwischen den Nachbarn im Haus, zwischen Arbeitgebern
und ihren Angestellten aus dem Gleichgewicht. Herr Ozu ist der erste, der hinter
Renés unscheinbarem Äußeren ihre sorgsam verborgene Eleganz ahnt.
"Madame Michel ist nicht die, für die man sie hält." verkündet der
neue Hausbewohner.
Fazit
"Die Eleganz des Igels" hat unter deutschen Lesern heftige
Diskussionen entfacht, ob es sich um ein ganz wunderbares oder um ein eher
enttäuschendes Buch handelt. In der ersten Hälfte fand ich Renées und Palomas
Auftritte sehr anstrengend. Die elitären Gedanken der beiden Überfliegerinnen
werden in der französischen Originalausgabe möglicherweise eleganter
vermittelt. Es hat sich jedoch gelohnt, weiter zu lesen; denn Barbery stellt in
ihrem Buch die gewohnte Ordnung zwischen oben und unten, zwischen Eltern und
Kindern humorvoll auf den Kopf. Die gewitzte Paloma wird mir als Patin des
Wortes "tiefgründig" in angenehmer Erinnerung bleiben.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 13. September 2009 2009-09-13 13:10:38