Krimi-Serien-Leser sind Wiederholungstäter, die auch deshalb lesen, weil sie
gern wissen möchten, ob der Ermittler inzwischen unter die Haube gekommen ist
oder ob - wie bei Qiu Xiaolong - der gutmütige Yu endlich eine Wohnung gefunden
hat, in der er die Küche nicht mehr mit fünf anderen Familien teilen muss.
In Shanghai findet der alte Huang, ein verdienter Modellarbeiter, am frühen
Morgen vor dem Shanghaier Konservatorium die Leiche einer jungen Frau. Die Tote
trägt auf der nackten Haut einen roten Qipao, das klassische Etui-Kleid, das
inzwischen vielen chinesischen Kellnerinnen als Dienstkleidung dient. Ein paar
Tage später wird eine weitere Tote mitten im Zentrum Shanghais an einer viel
befahrenen Straße gefunden, wieder im klassischen roten Kleid. Die
öffentlichkeitswirksame Inszenierung der Taten weist auf einen Serienmörder
hin, sagt jedoch trotzdem noch nicht genug aus, um dem Täter auf die Spur zu
kommen. Oberinspektor Chen, studierter Anglist und auf dem Weg, sich in
Abendkursen eine umfassende klassische Bildung anzueignen, fühlt sich zunächst
für diesen Fall nicht zuständig. Chen hat ein paar Tage Urlaub beantragt, um
einen Teil seines Magisterstudiums als Block zu absolvieren und zum Abschluss
eine schriftliche Prüfungsarbeit abzuliefern. Mit seinen literarischen
Eskapaden strapaziert Chen die Geduld seiner Vorgesetzten und seiner Leser.
Chens Kollegen vermuten, der Rückzug ihres Chefs in die klassische chinesische
Literatur sei eher als geschickte Taktik geplant, um ungestört vom Rampenlicht
der Öffentlichkeit in Ruhe ermitteln zu können. Chen, sein Kollege Yu und Yus
Frau Peiqin ziehen wieder alle Register und ermitteln unauffällig im
Bar-Milieu, speziell in der Welt der Tischfräulein und der
"Dreisparten-Girls". Auch in Blut und rote Seide (Red Mandarin Dress)
widmen sich die handelnden Figuren wieder ausschweifenden kulinarischen
Vergnügungen. Wer nicht gern Zeuge wird, wie Lebewesen auf dem Esstisch ihre
letzten Atemzüge tun, ehe sie in den hungrigen Mündern verschwinden, sollte
diesen Band besser auslassen.
Fazit
Die ausführlichen Ermittlungen zur Geschichte des Qipao haben mir in Qius
fünftem Shanghai-Krimi noch am besten gefallen. Dass die aktuellen Verbrechen
ihre Quelle (noch immer) in der Vergangenheit haben sollen, wirkt so wenig
glaubwürdig wie die sehr einfach gestrickte Persönlichkeit des Serientäters.
Qiu Xiaolong beherrscht die Kunst der feinen, ironischen Anspielungen, mit denen
er Chinas Weg zu einem kapitalistischen Staat skizziert. Hoffen wir, dass er mit
dem nächsten Krimi um Inspektor Chen endgültig in der Moderne ankommt.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 10. September 2009 2009-09-10 10:59:48