Franzi malt sich die Lippen an, Mamas BH schlabbert derweil leer an ihr
herunter. Anatol steht bis zu den Knöcheln im Rasierschaum, während er sich
das Kinn mit dem Rasierpinsel einschäumt. Schon auf dem Titelbild wird der
Betrachter förmlich zusammengefaltet, die von Nele Palmtag gewählte
Perspektive macht die Leser kleiner als das Kindergartenkind Anatol. Franzi
hatte gemosert, Anatol hatte gemosert, die eine wollte nicht in die Schule, der
andere nicht in den Kindergarten. Der Vater der Kinder, noch in Schlafanzughose
und Unterhemd, schneidet Brot. Er ist wohl noch nicht ganz wach, als er sagt
"na gut, dann tauschen wir eben". Das familiäre Tausch-Chaos beginnt
damit, dass Vater-Anatol dem Kind-Papa natürlich keine Schuhe binden kann und
das Papa-Kindergartenkind deshalb Gummistiefel anziehen muss. Die kleine Jeans
von Anatol stellt man sich auf Papas Hinterteil lieber nicht vor. An Papas
Arbeitsplatz muss Anatol nur telefonieren und wichtig aussehen - Papa ist
Filmemacher. Auf Papas Schreibtisch vollzieht sich der Übergang von der
dreidimensionalen Welt in die zweidimensionale: Schokoladenstücke und
Mauskabel sind nur in Kreidestrichen auf den Tisch gezeichnet. Palmtags Figuren
wirken wie Anziehpuppen, die die Illustratorin in farbenfrohe gemusterte
Karostoffe kleidet. Papa entdeckt inzwischen seine Vorliebe für den
Mittagsschlaf im Kindergarten - nur für das kleine Kindergartenbett ist er
einfach zu riesig. Pech, dass Anatol seinem Kindergartenkind-Papa kein Brot
eingepackt hat. Während die Betrachter in die Welt der Brotdosen und
Kindergarten-Imbisse aller anderen Kinder eintauchen können, löst Papa das
Geheimnis auf, warum Kai einen Tigerkopf auf seinem Toastbrot hat. Ein riesiger
Papa, zusammengefaltet auf seinem kleinen grünen Stühlchen, überragt die
Kindergartengruppe. Franzi soll an Mamas Arbeitsplatz etwas mit Walen
illustrieren. Sie steigt dazu auf den Tisch und malt vom Blatt, über die
Tischplatte bis an die Wand. Im Gegensatz zum Anatol-Papa, vergisst Franzi-Mama
ihre Familie nicht und geht nach der Arbeit noch schnell einkaufen. Mama hat
heute kein Erfolgserlebnis, ihre großen Füße sind schuld, dass sie den
anderen Mädchen den Gummitwist-Wettbewerb versemmelt. Nach beendetem
Rollentausch sehen Eltern und Kinder auf dem letzten Bild sehr zufrieden mit
sich und der Welt aus. Morgen ist wieder ein Tag - an dem Papa einen Ameisenfilm
drehen wird, wie sein Vertreter Anatol beschlossen hat.
Fazit
Nele Palmtag legt eine frech illustrierte Rollentausch-Geschichte unter dem
Motto "Was wäre wenn" vor, die nicht nur durch die herrlich schrägen
Kleidungsstücke ihrer Figuren in Erinnerung bleiben wird.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 03. September 2009 2009-09-03 10:04:04