Oswald Spengler ist seinerzeit der Nachweis treffend gelungen, daß die
abendländische Kultur des Westens von Beginn an im Zeichen einer neuen
Auffassung von Raum und Zeit, wie sie Carl Schmitt (1888-1985) in seinem
Spätwerk "Land und Meer" von 1954 mit dem Begriff der Raumrevolution
beschreibt, stand. Ihr Ursymbol ist das Unendliche, das Faustische. Der
entwurzelte Mensch ist aus seine Achse geworfen, weil er keine Perspektive mehr
hat. Er findet keine Orientierung mehr, sieht den sekundären Zustand als den
normalen an, spürt, daß ihm etwas fehlt und greift zu letzten Mitteln: Suizid,
Amok oder weniger brutal: Auswanderung und Rückzug aus dem öffentlichen
Leben.
Die Furcht vor dem "Untergang des Abendlandes" gewinnt im Zeichen der
Globalisierung neuerdings wieder an Aktualität. Der clash of civilizations
gehört - wie viele Menschen glauben - zu den politischen, ökonomischen und
kulturellen Konstanten des 21. Jahrhunderts. Diese Meinung vertritt der Autor
des vorliegenden Buches. Oswald Spenglers Kulturphilosophie formulierte diese
düsteren Zukunftsblicke schon vor über acht Jahrzehnten. Das vorliegende Buch
zeigt, daß der resignative Pessimismus unangebracht ist. Die imperiale Tendenz
der Gegenwart, die Spengler hellsichtig voraussah, birgt die Chance des
weltweiten Sieges der demokratischen Idee und der Selbstbehauptung der
westlichen Zivilisation, so der Autor. Richtig wird hier auch dargelegt, daß
sich die Sorge ums Altgewohnte oftmals nur noch in der materialistischen Furcht
vor Wohlstandsminderung zeigt. Da ohne gültige Maßstäbe und vor allem
zielbestimmende Maßstäbe und Werte kein Auskommen garantiert ist, konzentriert
der Mensch sich auf die künstliche und kommerzielle Umwelt, die ihm bietet, was
einst in der primären Welt zu entbehren war. Das "sekundäre System"
herrscht und wird hier zur artifiziellen und allherrschenden steinernen Macht
der Zivilisation, der gegenüber der Mensch zur Passivität verurteilt ist und
zum Objekt der politischen oder medialen Wachsuggestion wird.
Für Spengler ist das unabwendbare Schicksal, die irrationale kosmische Kraft,
die zur Zivilisation der Gegenwart treibt. Zivilisation dauere 200 Jahre, um
dann dem Niedergang anheim zu fallen und sich endgültig von dem wichtigsten
Phänomen der Weltgeschichte, der Kultur, abzukoppeln. Das Problem bei Spengler
hat hiermit an Kontur gewonnen und der Autor beweist, wie sehr diese Theorie
Spenglers sich an vielen Stellen bewahrheitet hat. Insbesondere die soziale
Verwahrlosung, die wir heute in allen Städten finden, war für Spengler ein
Phänomen aller Zivilisationen, die Brutstätte einer scharfen Art von
Asozialität. Da nützt es auch nicht auf die wenigen Oasen im Wüstensand zu
verweisen, wo über massige Steuermittel "Integration" gelungen sei.
Der denkende Mensch fragt sich, müßte diese in funktionierenden Gemeinschaften
nicht ohne staatlichen Interventionismus sich ergeben? Wichtig sind die
Beschreibungen des Autors über Spenglers Untergangstheorie. Mit der Kombination
der repetitiven Zyklusidee und dem Problem der Dekadenz sowie des Zerfalls der
Kultur statuiert Spengler seine wesentliche politische These. Anknüpfend an die
Ideenlosigkeit der Menschheit und der Bedeutungslosigkeit
universalhumanistischer Werte, vor allem die der liberal-rationalen Gedankenwelt
(Herrschaft des Verstandes, Humanität, Freiheit der Völker), hat in dieser
Perspektive der Diskontinuität und des Relativismus jede Kultur ihre
Möglichkeiten des Ausdruckes, die erscheinen, reifen, welken und nie
wiederkehren. Der Verfall der Kultur, die Passivität und die Ausdörrung des
Menschen sei hier unvermeidlich wie der Tod, der auf das Leben folgt.
Das Leben in der Zivilisationsperiode wird vom Positivismus und Rationalismus
beherrscht, die für Spengler einen Nihilismus und die Aushöhlung
jahrhundertealter Werte bewirkten. Die Allmacht der Vernunft leistete der
dialektischen Vernichtung der Kultur Vorschub, was Spengler in seinen
lebensphilosophischen Analogien antithetisch verdeutlicht. Die Philosophie wurde
zur gegenwärtigen Gesellschaftskritik transformiert. Die
Unvermeidlichkeitsthese mündet in dem Aufruf, die Zivilisation, in der man
lebte, als große Endphase zu akzeptieren. Die konservativen Kräfte sollten
nach Spengler unter psychologischen Druck gesetzt werden, um sich der
Zivilisation anzupassen. Im Kampf mit den Engländern war der Modernisierung
Schritt zu halten. So mündete diese Theorie in einen national-konservativen
politischen Aktionismus, dem der Autor unbegründeterweise wenig abzugewinnen
scheint. Dies ist wenig erfreulich, erscheint doch gerade jetzt die
Spengler-Studie aus den 20er Jahren "Neubau des deutschen Reiches" neu
im Arnshaugk-Verlag und bietet ebenfalls so manchen aktuellen Anknüpfungspunkt
für die Gegenwart. (Bigalke, Daniel (Hrsg.): Oswald Spengler: Neubau des
deutschen Reiches. Mit einem Vorwort des Herausgebers. 2009. 147 S. 160 gr. ISBN
3-926370-35-1)
Welche Aktualität haben nun diese Analysen in der gegenwärtigen Zeit? Wolfgang
Krebs zeigt auf, daß Spengler Recht damit hatte, wenn im Zusammenhang mit
dieser Entwicklung die Verdrängung "faustischer" Ethnien Europas
durch andere Ethnien prognostizierte. Die Erkenntnisse des negativen
Dialektikers Oswald Spengler entbehren nicht einer gewissen Relevanz in der
heutigen Zeit. Dieses Denken ist klarsichtig. Nach einer Darstellung von
Spenglers Geschichtsphilosophie, einer Fortschreibung der Spenglerschen
Konstruktion sowie der Beschreibung moderner Krisen beschreibt der Autor die
Spenglersche Kritik an der zeremoniellen Inszenierung der Freiheit und an der
Vernichtung der Demokratie durch die Blindheit für aktuelle Existenzfragen und
eben durch die Inszenierung einer Freiheit, die sich auf die Beschränkung auf
vier oder fünf Parteien zur Wahl bezieht, um ein "guter" Mensch zu
sein, und damit schon keine Freiheit mehr ist.
Letztendlich führt die Lektüre des Werkes dazu, ziemlich genau zu erkennen,
worum es Spengler ging. Mehr noch, man kommt nicht umhin, die Auswirkungen des
aufklärerischen Denkens der Zivilisation (Stichwort "Allmacht der
Vernunft") in der Gegenwart klar wieder zu erkennen und als die eigentliche
Unvernunft zu erkennen. Sie äußerte sich für Spengler folgendermaßen:
1. Lebensfeindlichkeit als erstickende Wirkung gegenüber Lebensimpulsen und
Vitalität
2. Mangel an Erlebnisvermögen und unschöpferische Verwahrlosung
3. Hochmut und Traditionsferne, einhergehend mit Scheinbildung bei
selbsternannten Eliten
4. Idee der Mitte als Kult der Mittelmäßigkeit in allen politischen Belangen
mit einhergehender Abneigung gegenüber allem Herausragenden und Ungewohnten
Fazit
Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Wer hätte gedacht, daß Spengler
derartig Recht hat? Dieses Buch führt viele Beweise auf!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 29. August 2009 2009-08-29 16:28:44