Siongs Opa hofft, dass sein Enkel sich eines Tages für Traditionelle
Chinesische Medizin und Akupunktur interessieren wird. Der Großvater ist
Niederländer, Siong sieht seinem chinesischen Vater ähnlich und hat eine
deutsche Mutter. Von seiner ersten abenteuerlichen Reise nach Hongkong im Jahr
1975 war der Großvater so beeindruckt, dass er im Anschluss daran Chinesisch
lernte. Nun ist er mit Siong, dessen Eltern in Hamburg als Tropenmediziner
arbeiten, unterwegs in China. Der zwölfjährige Hamburger Jung schreckt vor
nichts zurück; denn zu Hause in Deutschland ist er gewohnt, auf dem Weg zur
Schule die Hamburger Herbertstraße mit dem Rad zu durchqueren. Siong lernt
durch Zufall das Mädchen Litju und seinen Bruder Lee kennen, die in Hongkong
eine Internationale Schule besuchen.
Siongs Großvater will in China tradtionelle Apotheken besuchen, seinem Enkel
Peking, die Große Chinesische Mauer und die Insel Hainan zeigen. Wichtig ist
ihm, dass sein Enkel sich auf die fremde Kultur einstellt und etwas über die
chinesische Geschichte lernt. Opa und Enkel bilden ein unternehmungslustiges
Gespann, das in China allerlei Abenteuer erlebt. Die Autorin, die von der
Begegnung mit einem Jugendfreund in ihrer niederländischen Heimat zu diesem
Buch angeregt wurde, lässt Siong und seinen Opa in China eine Liste aller
möglichen sozialen und politischen Gesprächsthemen abarbeiten: von den
Arbeitsbedingungen philippinischer Hausmädchen in Hongkong, über das Schicksal
der Wanderarbeiter, Abriss alter Stadtviertel, Organhandel, die Tibet-Frage bis
zur Falun Gong Bewegung. Die Summe dieser zweifellos wichtigen Themen wirkt zwar
pädagogisch ambitioniert, interessiert jedoch nur wenige zwölfjährige
Schüler. Die Erklärungen der Vorgänge (Beispiel Wanderarbeiter, Enteignung)
sind nicht immer korrekt. Siongs Großvater wird als jovialer, sympathischer
China-Liebhaber geschildert. Ein so China-erfahrener Mann wie er, der sich seit
Jahrzehnten mit China-Themen beschäftigt, würde die Ereignisse kaum mit derart
simplen Etiketten versehen (Mao war "ein grauenhafter unmenschlicher
Typ", Wirtschaftsbosse sind "neureich"), sondern seinen Enkel
eigene Schlüsse ziehen lassen. Wer einen umfangreichen China-Knigge mit auf die
Reise nimmt und seinen Enkel bewusst mit einer fremden Kultur konfrontieren
will, würde Verhaltensweisen von Chinesen, die uns Europäern spontan
unhöflich erscheinen, nicht werten sondern ihren Sinn genauer erklären. Die
vorschnelle, emotionale Wertung historischer Ereignisse in einer uns fremden
Kultur, die die Autorin Opa und Enkel vornehmen lässt, hat mich in diesem Buch
sehr gestört. Für die Weiterreise ihrer Figuren von Hongkong nach Peking hat
die Autorin nicht bedacht, wie der Großvater, der vermutlich früher
Kantonesisch gelernt hat, sich in Nord-China unter Mandarin-Sprechern
verständigen wird. Zum Ende des Buches wirkt die lange Liste der sozialen
Probleme, die Siong im Gespräch durcharbeiten muss, zunehmend unglaubwürdig.
Fazit
In "Hühnerkrallen und Glücksstäbchen" schickt die Autorin zwei
liebenswerte Personen auf eine abenteuerliche Reise nach China. Bis auf kurze
Begegnungen mit den etwa gleichaltrigen Kindern Litju und Lee hat der
zwölfjährige Ich-Erzähler sich wie ein erwachsener China-Liebhaber zu
verhalten. Großvater und Enkel beschäftigen sich auf der Reise ausschließlich
mit Themen, die Erwachsene bewegen, und nehmen Details, die Kinder auf einer
Reise im modernen China interessieren könnten, kaum wahr. Die mit zu vielen
sozialen Themen überladene Handlung wirkt insgesamt nicht plausibel und hätte
gründlicher recherchiert sein können.
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Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 20. August 2009 2009-08-20 15:32:27