Die gesamtdeutsche nationale Identität, so läßt sich aus heutiger Sicht
sagen, war stets vorhanden und führte erst 1989 zu ihrer eigentlichen
Konsequenz. So läßt sich auch von einem mentalen gesamtdeutschen Bewußtsein
sprechen, welches in der DDR-Nischenkultur auch unter dem Druck allumfassender
Repression nur zeitweise auf forcierte Weise oberflächlich aber nicht
geistig-mental ausgeblendet werden konnte. Die Bundesrepublik Deutschland
erschien als Referenzsystem vom ersten Moment an und die Wiedervereinigung kann
als letzte Konsequenz hierzu gelten.
Das vorliegende Buch ergreift mit Bildern und Berichten, die den Leser in seine
persönliche Vergangenheit eintauchen lassen - wohlgemerkt: den Leser in Ost und
West bis hin zur Vereinigung. Dies geschieht auf über 1000 Fotos und
ausführlichen Dokumentationen zu jedem Jahrzehnt. Die Entwicklung wird in West
und Ost gleichberechtigt und eigenständig dargestellt.
Das Werk des Weltbuch-Verlages bietet einen umfassenden, nach Jahrzehnten und
Themen geordneten, Rückblick auf die gesamtdeutsche Geschichte seit 1949. Es
versteht sich von der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 her, dessen
60. Jubiläum wir 2009 begehen. So kritisch dieses Grundgesetz und die
Bedingungen seiner Verabschiedung (Besatzungsstatut, Provisorium, mangelnde
Souveränität Deutschlands und uneingelöster Gestaltungsauftrag bis heute) zu
bewerten ist, so gelungen wird im Buch die Entwicklung der beiden deutschen
Staaten bis zur Wiedervereinigung und darüber hinaus bis zum heutigen Tag
dargestellt. - Und dies vor allem für den recht unpolitischen oder mit
politischem Oberflächenbewußtsein ausgestatteten Durchschnittsbürger. Selbst
der Besuch von Obama in Dresden ist schon mit eingepflegt. Daneben gibt es für
jedes Jahrzehnt einen redaktionellen Beitrag in Form eines Abrisses über die
Themen der Zeit. Mit Beiträgen von Zeitzeugen, die ihre ganz persönlichen
Erinnerungen erzählen, wird der Vergangenheit ein Gesicht verliehen und
Geschichte lebendig nachvollziehbar gemacht.
Schade ist es, daß die pragmatische Politik und das Krisenmanagement während
der gesamten Geschichte der DDR sowie der allgegenwärtige Dauerkonflikt
zwischen individuellen Ansprüchen und gesellschaftlich notwendigem Verhalten in
der DDR etwas zu kurz kommt. Damit ignoriert das Buch etwas die Resignation, den
Rückzug der DDR-Gesellschaft und ihre mangelnde soziale Mobilität, die zu
einer unkritisch, sozial nivellierten und wenig innovativen Bevölkerung
führte.
Das berühmte Postulat einer erfolgreichen "Amerikanisierung der
Westdeutschen" gegenüber einer unzureichenden "Russifizierung der
Ostdeutschen" ist so nur allzu verständlich, spielt aber kaum eine Rolle
im Buch. - Soll es vielleicht auch nicht, denn es ist ja ein heiterer
Jubiläumsband, der den Stolz auf Gesamtdeutschland repräsentiert.
Fazit
Seinen Zweck erfüllt das Buch deshalb in diesem Zusammenhang in jedem Fall.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 15. August 2009 2009-08-15 18:09:24