Der Kapitän, der vor der Küste Südafrikas Jagd auf Wale macht, und sein
"Auge" sind ein ungewöhnliches Paar. Der Norweger Thor Larsen hat
sich einen Jungen aus dem Busch gesucht, der ihm aus dem Ausguck seines
Walfängers die gesichteten Wale ausrufen soll. Larsen hatte die guten Augen des
Jungen beim Tennis entdeckt und den Burenjungen aus Südafrikas Landesinnern auf
sein Schiff eingeladen. Der Kapitän scheint von den Tieren Südafrikas,
besonders von Elefanten fasziniert zu sein. Als der Ich-Erzähler schon längst
angeheuert hat, vereinbart Larsen mit ihm, dass er dem Käpt'n für jeden Wal,
den er sichtet, später einen Elefanten zeigen soll. "Mach, mir den Wal
aus, nein?" ordnet der Käpt'n mit norwegischem Akzent an. Als der junge
Mann seine Arbeit an Bord im Hafen von Port Natal (heute Durban) antrat, kann
er gerade erst 14 Jahre alt gewesen sein. Doch die Erinnerungen an die Zeit auf
dem Walfänger wird uns in der Ich-Form aus der Erinnerung eines deutlich
älteren Mannes erzählt, der offenbar tiefen Einblick in die Psyche der von
ihm beschriebenen Menschen hat.
Larsen hat dem Walfang gegenüber eine nüchterne Einstellung, man muss fischen,
um zu leben - was sonst kann ein Norweger tun? Das Sterben der Jagdbeute sieht
Larsen ebenso sachlich, vom Pottwal spricht er voller Achtung und niemals fällt
die klischeehafte Bezeichnung Mörderwal. Dennoch ist dem Leser von Beginn an
deutlich, dass der Walfang Larsen mehr bedeutet als nur einen Broterwerb. Das
"Auge" war mit einem Gefühl der Beklemmung an Bord gekommen, als ob
er geahnt hat, dass Schiff und Kapitän ein unglückliches Ende bevorstehen
würde. Mit der Beobachtungsgabe eines Jungen, der in engem Verhältnis zu den
Gewalten der Naturkräfte aufgewachsen ist, und voller Staunen für die Welt auf
See wird uns der Alltag der Mannschaft beschrieben. Als einziger Südafrikaner
unter allen Norwegern an Bord fühlt sich der Junge dem Heizer Mlangeni, dem
einzigen Schwarzen an Bord, besonders verbunden. Für die tiefgreifenden
Konflikte zwischen Mannschaft und Kapitän, die später durch Harald, einen
neuen Mann an Bord, eskalieren werden, hat der Junge eine besonders sensible
Wahrnehmung. Trotz seiner Jugend nimmt er bald die Rolle des ausgleichenden
Diplomaten auf dem Schiff ein. Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, dass
Laurens van der Post die wenigen Walfangszenen in seinem Roman mit alltäglicher
Beiläufigkeit erzählt, um sich anschließend intensiv und mit psychologischem
Geschick den Beziehungen der Mannschaft untereinander zu widmen. Die
persönliche Kraftprobe zwischen einem berühmten Großwildjäger, der an Bord
kommt, um sich unter Käpt'n Larsen seinen Traum vom Walfang zu erfüllen, und
dem erfahrenen Walfänger wird tödlich ausgehen.
"Der Jäger und der Wal" nimmt seine Leser durch die
Erzählperspektive aus der Sicht eines Jungen gefangen, der von seiner
Tätigkeit im Ausguck eines Walfängers im Laufe von vier Fangzeiten berichtet.
"Das Auge" beobachtet das Meer und die Kräfte der Natur mit
geschultem Blick; sein Psychogramm eines Jägers und sein Urteil über die
Geschehnisse an Bord gibt der Ich-Erzähler mit dem Abstand von Jahrzehnten und
mit der Weisheit des Alters ab. Auch Laurens von der Post beschreibt seine
Erlebnisse an Bord eines Walfängers aus der Distanz. Christoph Egger informiert
in seinem Nachwort über den wirtschaftlichen Stellenwert des Walfangs zu
Larsens Zeit und dass van der Post 1923 im Alter von 17 Jahren selbst auf einem
Walfänger gefahren sei. Egger berichtet, dass einige der Figuren in van der
Posts abenteuerlicher Milieustudie Personen ähneln, die der Autor während
seiner Volontärzeit kennen lernte.
Fazit
Der 1967 erschienene - ausgezeichnet von Michael H. Siegel übersetzte -
Roman-Klassiker Laurens van der Posts hat das Zeug, mein "Buch für die
Insel" zu werden und regt an,
Moby Dick noch einmal aus neuer Perspektive zu lesen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 23. Juni 2009 2009-06-23 10:01:01