Günter Sachses Abenteuerklassiker aus dem Jahre 1959: "Die Meuterei auf
der Bounty" gehört nach wie vor bis heute zu meinen Lieblingsbüchern. Der
Stoff ist 1935, 1962 und 1984 jeweils verfilmt worden. Literarische Quellen der
Meuterei bieten die Schilderungen von Kapitän William Bligh: " "A
narrative of the Mutiniy on board His Majesty`s Ship Bounty" aus dem Jahre
1790, das Tagebuch des Bootsmannsmaats James Morrison: "The Journal of
James Morrisson, Boatswain`s Mate of teh Bounty" aus dem Jahre 1935 sowie
J.N. Halls und C. Nordhoffs "Mutiny" aus dem Jahre 1933. Morrissons
Buch wurde von Owen Rutter eingeleitet, der selber im Jahre 1936 mit seinem
Werk: "The True Story of the Mutiny in the Bounty" das Geschehen auf
der Bounty anhand der historischen Quellen kritisch kommentiert hat. Außerdem
liegt eine Bligh-Biographie von George Mackaness vor, der laut Sachse das
"wohl umfassendste Bild des gesamten Komplexes" im Jahre
1952geschildert hat.
Auf alle diese Berichte kann sich Sachse stützen. Das spannend zu lesende Buch,
welches ich anlässlich der Verfilmung mit Trevor Howard und Marlon Brando, die
auf der Schilderung Halls beruhen, jetzt erneut gelesen habe, zeichnet sich
durch ein differenziertes Bild aus. "Mehr als ein Jahrhundert lang haben
die zahlreichen Darstellungen dieses Südseedramas Bligh als den brutalen
Tyrannen gezeichnet und in [seinem Gegenspieler, dem Offizier Fletcher; B.N.]
Christian - entsprechend der sehr freien dichterischen Verherrlichung durch Lord
Byron - den romantischen Helden gesehen. Die Wirklichkeit ist anders. Sie
begnügt sich nicht mit einfachem Schwarzweißgegensatz. Die Quellen sprechen
nicht für solche romantische Verklärung."
Dass Sachse sich bemüht, beiden Protagonisten, dem fähigen und tüchtigen
Kapitän William Bligh, der allerdings in seinem Jähzorn jegliches Maß verlor
und die Kunst der heutigen "Menschenführung" überhaupt nicht
beherrschte, und seinem Gegenspieler, dem eher feinfühligen und sensiblen
Fletcher Christian, der die Demütigungen des Kapitäns nicht mehr aushielt und
schließlich einfach in Verzweiflung mit der Meuterei eine Kurzschlußreaktion
beging, an deren Folgen - und seiner Schuld - er ein Leben lang leiden sollte,
ist die Stärke dieses Buches.
Es schildert packend eine Fahrt, die hoffnungsvoll im Dezember 1787 begonnen
hatte, um kostbare Brotfruchtpflanzen für Westindien aus Tahiti gegen von den
dortigen Eingeborenen begehrte Gegenstände einzutauschen. Das Buch besteht aus
zwei Teilen. In seinem ersten Teil schildert es die Fahrt der Bounty bis zur
Meuterei vor Tofua in der Nacht zum 28. April 1789. Dort wurde Kapitän Bligh
mit 18 Getreuen in einer kleinen Barkasse ausgesetzt. Der zweite Tel des Buches
schildert sowohl den Überlebenskampf des Kapitäns Bligh, dem es in sechs
Wochen gelingt, 3600 Seemeilen von Tofua über die Fidschi Inseln, die neuen
Hebriden, an der Ostküste Australiens die Torres-Strasse bis nach Timor zu
kommen - und fast alle seine ihm anvertrauten Seeleute lebend dorthin zu bringen
(eine bahnbrechende seemännische Leistung, die nicht genug gewürdigt werden
kann) sowie das weitere - und sehr tragische - Schicksal der Meuterer, die unter
Führung von Fletcher Christian schließlich ihr Ziel, Pitcairn, erreichten. In
einem Epilog werden die Quellen und das weitere Schicksal der Beteiligten und
der Nachkommen der Meuterer auf der Insel Pitcairn nachgezeichnet.
Was soll man sagen: ein bewegendes Buch, welches plausibel macht, wie es zur
Katastrophe kommen konnte. Es scheut sich nicht, Partei zu ergreifen. Es
beschreibt schonungslos das Regiment des Kapitäns, aber auch dessen Sichtweisen
und Motive. Heraus kommt das Bild eines Mannes, der auf der einen Seite
weitsichtig handeln konnte, ein guter Navigator und Seemann war und durchaus
fürsorgliche Maßnahmen für das Überleben seiner Mannschaft ergriff (Kürbis
und Sauerkrautportionen gegen Skorbut, Einführung eines Dreischicht- anstelle
des bislang geltenden Zweischicht-Wachsystems, welches den Untergebenen einen
8-Stunden-Schlaf ermöglichte, wo sie sich besser von den Strapazen des
anstrengenden Alltags auf dem Schiff ausruhen konnten), auf der anderen Seite
aber unglaublich engherzig sein konnte. Vor allem schaffte er es nicht, die
Zuneigung seiner Leute zu erwerben; oft kanzelte er Untergebene vor Zeugen ab,
so dass diese ihr Gesicht verloren. Daran war sein impulsiver Jähzorn schuld,
der dazu führte, dass er sich oft in einer Verfassung befand, in der sein
Denken nicht mehr funktionierte. Nach einem Käsediebstahl verdächtigt er
pauschal die gesamte Mannschaft, obwohl ganz offensichtlich der gestohlene Käse
von seinem Schreiber in sein Haus in Detford gebracht wurde. Er beschimpfte -
vor allem nach Tahiti - Offiziere als Diebe und Gauner. Zur wachsenden Spannung
an Bord trugen insbesondere drei Ereignisse bei, die in dem Buch genügend Raum
finden: zum einen starb der einzige Mann an Bord, dem sich Kapitän Bligh nicht
überlegen fühlte: der alte Schiffsarzt Huggan, der einzige, der Bligh mit
"Mr." und nicht mit "Sir" anreden durfte und der ihn nach
einer scharfen Auseinandersetzung dazu brachte, nicht die Route über das
vermeintlich schnellere, aber durch seine starken Stürme gefährlichere Kap
Hoorn, also um Feuerland herum, zu wählen, sondern die längere Route über das
Kap der Guten Hoffnung. Die Admiralität hatte in diesem Fall keine klare
Anweisung über die zu verfolgende Route gegeben. Bezeichnend für Bligh: er
folgte - trotz eines Wutanfalls - dem Rat des alten Schiffsarztes, der wie kein
anderer Autorität in der Mannschaft besaß, eine Zuneigung für Fletcher
Christian empfand und auf Tahiti starb. Seine letzten Worte vor seinem Tod an
den Botaniker Nelson waren die, Nelson solle auf Christian aufpassen, damit er
nichts Dummes anstelle: "Er hat die Gestalt des Apolll, aber das Herz eines
Kindes. Es könnte sein, daß er daran zerbricht oder irgend etwas ganz Dummes
anstellt." Eine korrekte Prophezeiung, wie sich herausstellen sollte.
Der zweite Faktor, der zur Meuterei zweifellos beitrug, war der lange Aufenthalt
in Tahiti. Er dauerte von Oktober 1788 bis zum 01. April 1789. So lange dauerte
es, die Brotfrüchte auf die Bounty zu verladen, das Schiff für die lange
Rückfahrt zu präparieren und günstige Winde abzuwarten. Doch die traumhafte
Insel hatte die Mannschaft so fasziniert, dass sie die Disziplin und das strenge
Regiment des Kapitäns nach der Abreise kaum mehr ertrug.
Der auslösende Faktor, der zur Meuterei führte, war ein Streit um ein paar
lumpige Kokosnüsse. In Namuka hatte der Kapitän eine große Menge Kokosnüsse
an Bord genommen. Einen Teil davon hatter er an die Besatzung verkauft, der
Rest, der als Proviant bestimmt war, lagerte in einem großen Haufen auf dem
Achterdeck zwischen den Geschützen. Am Tag vor der Meuterei entdeckte der
Kapitän, dass einige Nüsse fehlten und beschuldigte die Mannschaft, die Nüsse
gestohlen zu haben. Er nahm sich jeden Offizier einzeln vor: alle mußten
erklären, wie viele Nüsse sie erworben und mittlerweile verzehrt hatten. Dann
kam die Reihe an Fletcher Christian, der bereits einige Tage vorher wegen eines
anderen Zwischenfalls mit dem Kapitän aneinandergeraten war. Sachse beschreibt
die entscheidende Szene: "Ich hab`s vergessen, Sir" antwortete er
gereizt auf die Frage des Kapitäns. "Und ihc nehme nicht an, daß Sie mir
unterstellen wollen, ich könnte Sie bestehlen!" Daraufhin verlor Bligh
völlig die Beherrschung. "Jawohl, das will ich, du verdammter Hund! Du
hast meine Kokosnüsse gestohlen!" Christian war leichenblaß geworden. DAs
war nun sein Kapitän, zu dem er aufgesehen hatte, sein Vorbild!
"Sir!", erwiderte er empört. "Womit habe ich das verdient?"
Aber Bligh war von seinem unglückseligen Jähzorn bereits über alle Grenzen
der Vernunft hinausgehoben. Er sprang auf Christain zu, hielt ihm die Faust
unter die Nase und schrie mit Wutverzerrtem Gesicht: "Keine
Widerrede!" Dann holte er tief Atem, warf einen Blick in die Runde der
Offiziere und rief: "Der Teufel hol'Euch alle miteinander, ihr Gesindel!
Ihr steckt ja doch nur mit den Leuten unter einer Decke, um mich zu bestehlen!
Aber", seine Stimme schnappte über, "Aber ihr sollt mich
kennenlernen! Wir sind noch nicht zu Haus! Eher geht die Hälfte von euch über
Bord, als daß ich mir eure Schurkerei noch länger bieten lasse!"
Daraufhin sperrte er der gesamten Mannschaftden Grog und reduzierte die
bisherige Tagesration auf ein Drittel. Außerdem ließ er sämtliche Kokosnüsse
an Bord, die die Besatzung gekauft hatte, beschlagnahmen und dem Proviant
zuschlagen. "Bligh fühlte sich zu dieser Maßnahme vollauf berechtigt;
denn auch er hatte sie gekauft: für je zwanzig Nüsse hatte er einen Nagel
gegeben! Aber er sollte sehr bald einen wesentlich höheren Preis zahlen,
nachträglich, für ein paar lumpige fehlende Kokosnüsse."
So kommt es zur Katastrophe. Der verzweifelte Fletcher Christian will heimlich
in der Nacht das Boot verlassen. "Blieb er, so würde er über kurz oder
lang in diese brüllende Fratze seines Peinigers hineinschlagen. Und was dann
kam, wußte er: ein diensttugender Leutnant in Eisen, Kreigsgericht,
Degradierung und -mindestens! - das Los des Sträflings. Vielleicht aber würde
man ihn auch, da er noch nicht als Offizier bestätigt war und die Hand gegen
seinen Kommandanten erhoben hatte, auf der Reede von Spithead unter den Augen
der Besatzung aller vor Anker liegenden Schiffe zu Tode peitschen!" Also
beschließt er, zu fliehen. Als er mit Hilfe des Matrosen Quintal, der von Bligh
wegen eines Vergehens mit 24 Peitschenhieben, der sogenannten neunschwänzigen
Katze, bestraft worden war, sein Floß zu Wasser lassen will, wird ein Hai
gemeldet. Quintal und Churchill, der Waffenmeister, überreden Fletcher
Christian daraufhin zur Meuterei, das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Bligh, auf einer Barkasse ausgesetzt, schafft das Unmögliche: er erreicht
England. Die Bounty segelt nach Tahiti. Dort bleiben einige der Meuterer, obwohl
sie von Fletcher Christian eindringlich davor gewarnt werden, weil man sie dort
am ehesten suchen würde, wenn Bligh England erreichen sollte. Es sind dann in
der Tat diese Meuterer, die später gefasst und bestraft werden. Das Buch macht
sehr deutlich, dass gerade diejenigen mit dem Tode bestraft wurden, die mit der
Meuterei wenig zu tun hatten oder zwangsweise auf der Bounty zurückblieben,
weil sie nicht mehr in die schon überfüllte Barkasse gelassen werden konnten.
Der Rest der Meuterer floh nach Pitcairn, welches auf der Karte falsch
eingezeichnet wurde. Doch alle traf ihr Schicksal; aufgrund von Problemen mit
den dortigen Eingeborenen wurden fast alle ermordet - auch Fletcher Christian.
Lediglich der Matrose Alexander Smith wurde unter dem Namen John Adams Lehrer
der Nachkommen der Bounty-Meuterer. Die Insel Pitcairn - und damit Adams und
seine "Gemeinde" -wurde 1808 von dem amerikanischen Kappitän Mayhew
Folger entdeckt. Erst da erfuhr die Welt vom Schicksal der Meuterer auf der
Bounty und dem Schicksal Fletcher Christians, der als verschollen galt. Doch
Adams wurde weder von Folger, noch 1814 von dem britischen Kapitän Staines nach
England ausgeliefert. Der "ehrwürdige alte Mann" erschien ihm als
Patriarch der Inselfamilie ganz unentbehrlich. "Und wenn vor dem Gesetz
auch noch ein Posten auf der Rechnung offenstand, so war hier eine weitaus
größere menschliche Sühne geleistet worden. So störte nichts den Frieden der
Insel. Aber es war ein Glück, daß die Kapitäne Staines und Pipon sich der
menschlichen Aufgabe gewachsen zeigten, vor die der Zufall sie stellte."
Fazit
Die Meuterei auf der Bounty - ein bewegendes Drama un Schuld und Sühne, welches
heute noch packt - und meines Erachtens gehört das vorliegende Buch bis heute
zu den besten Beschreibungen der Meuterei auf der Bounty, weil sie packend und
möglichst objektiv die menschliche Tragödie der Meuterei mit psychologischem
Falkenblick aufzeigt. Ein sehr eindrucksvolles Werk, wie ich finde.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 20. Juni 2009 2009-06-20 16:29:39